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Bevor der Morgen graut

Bevor der Morgen graut

Titel: Bevor der Morgen graut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Arnar Ingolfsson
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betrachtete aufmerksam das Erdreich, das sich neben dem Bagger aufzutürmen begann. Die Baggerschaufel beförderte nassen Kies nach oben. Das Loch vertiefte sich zusehends, und an den Seiten trat Grundwasser aus und sammelte sich auf dem Boden des Lochs.
    Der Mann mit der Strickmütze hieß Fróði Bergkvist und war Geologe, der nach einem Grundstudium an der Universität Islands weitere Aufbaustudiengänge an zwei ausländischen Universitäten absolviert hatte. Er war spezialisiert auf Lagerstätten von Rohstoffen. An diesem Morgen bestand seine Aufgabe darin, eine neue Kiesgrube für das Straßenbauamt zu finden. Seine Firma Bergfróði GmbH, ein Ein-Mann-Unternehmen, hatte den Auftrag erhalten, mögliche Standorte zur Kiesgewinnung für den Bau einer neuen Straße vom Mývatn zum Öxarfjörður zu finden, westlich der Jökulsá á Fjöllum. Mit der geplanten Straße sollte Besuchern der Zugang zum dortigen Nationalpark besser erschlossen werden, in dem sich Europas mächtigster Wasserfall Dettifoss, das Wandergebiet von Hólmatungur und die Echofelsen Hljóðaklettar befanden. Für die neue Straße, die eine feste Fahrbahndecke erhalten sollte, musste eine ganz neue Trasse angelegt werden. Die derzeitige Piste, die auf der westlichen Seite des Gletscherflusses entlangführte,war über weite Strecken ein holperiger Hohlweg, der nur mit Fahrzeugen mit viel Bodenfreiheit und Allradantrieb zu befahren war und in keiner Weise dem ansteigenden Besucherstrom im Nationalpark des Fluss-Canyons Jökulsárgljúfur gerecht wurde.
    Fróði hatte zunächst in seinem Büro sorgfältig die Luftaufnahmen dieses Gebiets studiert und gleichzeitig auf der Karte die Erfolg versprechenden Stellen für eine genauere Untersuchung eingetragen. Anschließend war er mehrere Tage in der Gegend gewandert, hatte die geologischen Gegebenheiten geprüft, Aufnahmen gemacht und Bodenproben gesammelt. In den vergangenen Jahrtausenden hatte der Gletscherstrom Jökulsá á Fjöllum mehrmals sein Flussbett verändert, und in den Sedimenten solch uralter Flussbetten war am ehesten Straßenbaumaterial zu finden. Im gleichen geologischen Zeitraum hatte es aber auch zahlreiche klimatisch günstige Perioden gegeben, in denen sich Erdreich bilden konnte, das jetzt in unterschiedlicher Dicke über den Kiesschichten lag.
    Fróðis Untersuchungen waren so weit gediehen, dass er nunmehr einen Schaufelbagger gemietet hatte, um Probegrabungen an ausgewählten Stellen durchzuführen. An diesem Morgen hatten sie bereits fünf solcher Löcher ausgehoben, was aber bislang keinen Erfolg gezeigt hatte. An zwei Stellen war das Erdreich viel zu dick gewesen, und an den anderen Stellen waren sie unterhalb der Kiesablagerungen gleich auf festes Grundgestein gestoßen.
    Hier an dieser Stelle aber schien das Glück mit ihnen zu sein. Zwar war das Erdreich immer noch gut einen Meter dick, aber darunter befand sich, so weit die Baggerschaufel reichte, eine ausgezeichnete Kiesschicht. Dies konnte also eine sehr ergiebige Grube werden, wenn man das Erdreich darüber abgedeckt hatte.
    Fróði gab dem Baggerführer ein Zeichen, dass das Loch tiefgenug war. Im nächsten Schritt würde er mit einem großen Bohrer kommen, um zu überprüfen, wie tief es bis zum festen Gesteinsgrund war. Hoffentlich ein paar Meter.
    Der Baggerführer kletterte aus seiner Führerkabine, stopfte sich eine Pfeife und beobachtete zufrieden, wie Fróði drei starke Kunststoffsäcke mit Kiesproben füllte.
    Damit war die Arbeit aber noch nicht beendet. Fróði musste noch in das Loch hinuntersteigen, um festzustellen, ob der Kies unterhalb der Bodendecke unterschiedlich geschichtet war. In dem Falle war es notwendig, jeder Schicht eine Probe zu entnehmen. Zu diesem Zweck hatte er eine alte, fünf Meter lange Holzleiter dabei. Der Baggerführer half ihm, sie vom Dach des Jeeps zu heben, und gemeinsam ließen sie die Leiter in das Loch hinunter. Sie ragte etwa einen Meter oben heraus. Fróði stieg langsam nach unten und inspizierte den Kies, der bis zum Boden des Lochs einen sehr einheitlichen Eindruck machte. Ganz unten war er etwas gröber, aber das spielte keine Rolle.
    Erst beim Hochklettern sah sich Fróði die oberste Erdschicht genauer an und suchte nach Aschenschichten, die im Laufe der Jahrhunderte bei verschiedenen großen Vulkanausbrüchen in Nordisland entstanden waren. Das war sein Hauptinteressengebiet während des Geologiestudiums gewesen, mit dem er sich auch in seiner Diplomarbeit befasst

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