Bevor der Morgen graut
ein Samstag. Am gleichen Tag verlor der FC Akureyri im Pokalendspiel in Reykjavík. Das war ein rabenschwarzer Tag.«
Als Nächstes fuhren die Kriminalbeamten zur Leichenhalle des Bezirkskrankenhauses, wo die sterblichen Überreste von Leifur Albert auf dem Seziertisch lagen.
»Morgen schicken wir ihn nach Reykjavík«, sagte Kristján, der sich die Hand vor Mund und Nase hielt. »Hier am Krankenhaus gibt es keinen Gerichtsmediziner.«
Birkir betrachtete die Leiche und die Plastiksäcke, in die sie verpackt gewesen war. Der Mann hatte die typische grün, gelb und braun gemusterte Camo-Kleidung getragen. Man konnte noch erkennen, dass eine Schrotladung ihn an der rechten Hand getroffen und ihm zwei Finger abgerissen hatte, Daumen und Zeigefinger. An der rechten Leiste befand sich eine große Wunde, und der obere Teil des Kopfes war mit einem Schuss aus allernächster Nähe zerfetzt worden. Das Gesicht war wegen der Verwesung völlig unkenntlich. Deswegen bestand auch kein Grund, die Mutter des Toten zu bitten, ihn zu identifizieren – und das war auch besser so. Es gab ja auch andere Methoden, um zu bestätigen, dass es sich um den besagten Mann handelte, DNA-Analysen und dergleichen.
»Ich habe ihn vorsichtig aus der Plastikhülle gewickelt«, sagte Elías. »Möglicherweise sind in den inneren Lagen noch Fingerabdrücke zu finden. Das werden wir in Reykjavík im Labor untersuchen, da haben wir das bessere Equipment.«
Birkirs Blicke waren immer noch auf die leiblichen Überreste von Leifur Albert geheftet. »Ist die Leiche nicht in ungewöhnlich gutem Zustand, gemessen an der Tatsache, dass sie über ein Jahr alt ist?«
Elías nickte zustimmend. »Das muss einen aber nicht stutzig machen. Sie lag einen halben Meter tief in der Erde, und das da oben im Hochland. Ich könnte mir vorstellen, dass sie einen großen Teil des Jahres tiefgefroren war.«
14:45
E mil Edilon besaß kein Handy und war tagsüber selten zu Hause anzutreffen. Nach einigem Suchen fand Gunnar ihn schließlich im Café Mokka.
Der Schriftsteller schrieb gerade mit einem Bleistiftstummel einen Text auf eine Papierserviette. Neben ihm stand eine leere Tasse Kaffee.
»Du wirst lange für dein Buch brauchen, wenn du kein besseres Papier verwendest«, kommentierte Gunnar, als er sich zu ihm an den Tisch setzte.
»Ich arbeite«, sagte Emil Edilon. »Müsstest du nicht auch versuchen, dich irgendwo nützlich zu machen?«
»Ich brauche die Antwort auf eine Frage.«
»Ich wüsste nicht, dass ich einen Auskunfts-Service annonciert hätte.«
»Nein, aber es ist außerordentlich wichtig.«
Emil sah auf die leere Kaffeetasse. »Ich habe mir schon zweimal Nachschlag geholt«, lenkte er ein. »Ich werde dir fünf Minuten zuhören, wenn ich frischen Kaffee und ein Stück Apfelkuchen mit Sahne bekomme.«
»Mir fehlt der Titel eines Buches«, sagte Gunnar, aber Emil unterbrach ihn. »Kaffee mit Apfelkuchen.«
Gunnar erhob sich schwerfällig, stiefelte zum Büfett und bestellte Kaffee und Apfelkuchen für zwei. Dann setzte er sich wieder zu Emil.
»Die letzten Worte in diesem Buch lauten so.« Er las den Text der E-Mail vor.
»Solitaire« , sagte Emil, »ein ziemlich ungewöhnlicher Frauenname, denke ich. Im Englischen ist das auch der Name für eine bestimmte Art von Patience und bezeichnet ebenfalls einen einzelgefassten Diamanten.«
»Kannst du dich an diesen Namen in irgendeinem Roman erinnern?«
»Im Augenblick nicht.«
»Könntest du dich mit den Typen in Verbindung setzen, die immer am Freitagabendquiz teilnehmen? Und zwar mit einem von denen, die was im Kopf haben. Du darfst aber auf keinen Fall verraten, dass ich danach frage. Und außerdem musst du dich in den nächsten Tagen mehr zu Hause aufhalten. Es könnte sein, dass ich dich telefonisch erreichen muss.«
Emil ließ die Gabel mit einem Stückchen Apfelkuchen wieder sinken. »Ich soll zu Hause darauf warten, dass du mich anrufst?«
»Ja.«
»Ich glaube, dass das einer näheren Erklärung bedarf.«
Gunnar überlegte. Es bestand wohl kaum Gefahr, dass Emil etwas herumerzählen würde, denn er war bekannt für seine Verschwiegenheit. Man konnte ihm etwas anvertrauen. Schon mancher hatte sein schlechtes Gewissen bei Emil erleichtert.
»Die Sache ist streng vertraulich«, sagte Gunnar.
»Es ist nicht das erste Mal, dass ich ein Geheimnis wahre«, erklärte Emil.
»Okay«, sagte Gunnar und berichtete Emil, worum es ging.
Emil hörte zu und überlegte anschließend längere
Weitere Kostenlose Bücher