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Bevor der Morgen graut

Bevor der Morgen graut

Titel: Bevor der Morgen graut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Arnar Ingolfsson
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Zeit.
    »In Ordnung«, sagte er schließlich, »ich werde versuchen, euch dabei zu helfen. Aber dazu musst du mir so ein Handy verschaffen, das ich mit mir herumtragen kann. Ich hab nicht die geringste Lust, länger bei mir zu Haus zu hocken als unbedingterforderlich. Es könnte ja womöglich jemand zu Besuch kommen.«
    »Okay«, sagte Gunnar. »Was meinst du, wer dafür infrage kommt, dir zu helfen?«
    Emil überlegte laut: »Der behinderte Filmkritiker, der Blaue Baron, die schielende Studienrätin, der Radiomensch mit der rauen Stimme und dieser rothaarige Journalistendepp. Die wissen verdammt gut Bescheid.«
    »Du darfst ihnen aber nicht sagen, was hier Sache ist«, schärfte Gunnar ihm nochmals ein.
    »Mach ich nicht.«
    »Und was wirst du ihnen sagen?«
    »Ich denke mir schon irgendeine Geschichte aus, damit habe ich keine Probleme.«
    Gunnar beobachtete mit Abscheu, wie Emil seine Pfeife aus der Tasche zog. »Du nennst die Leute nie beim richtigen Namen«, sagte er, »sondern verwendest immer diese komischen Bezeichnungen. Warum?«
    »Ich kann mir einfach die normalen Namen nicht merken«, antwortete Emil, »da fehlt bei mir wohl eine Gehirnwindung. Deswegen erfinde ich diese Bezeichnungen, die meisten bestehen aus einem Adjektiv und einem Substantiv, das behalte ich besser im Gedächtnis. Irgendeine Verbindung gibt’s dann zwischen meiner Kombination und dem richtigen Namen, die ich sogar finden kann, wenn ich lange genug nachdenke. Der Radiomensch mit der rauen Stimme heißt beispielsweise …«, Emil zögerte eine Weile, »… Rudolf. Er arbeitet beim Agrarforschungszentrum und ist nie beim Rundfunk gewesen.«
    »Hat das was mit den Anfangsbuchstaben zu tun?«
    »Manchmal, aber nicht immer. Der Blaue Baron heißt …« Emil schloss die Augen und tappte sich ein paar Mal an die Stirn. »Brúno?«
    Gunnar nickte zustimmend. »Das passt.«
    »Die schielende Studienrätin heißt Steinunn.«
    »Und wie nennst du mich, wenn ich nicht anwesend bin?«, erkundigte sich Gunnar.
    »Dich?«
    »Ja, mich.«
    »Du bist der germanische Bergriese.«
    »Hätte schlimmer sein können.«
    »Ja.«
    »Aber jetzt geht’s um die Frage. Solitaire, du erinnerst dich hoffentlich?«
    »Ja, ja, ich erinnere mich«, antwortete Emil und fragte dann zurück: »Und was bekomm ich dafür?«
    Gunnar grinste. »Ich werde mit dir schlafen«, erklärte er.
    Emil legte den Kopf schräg, schwieg und sah Gunnar lange in die Augen. »Mein guter Freund«, erklärte er schließlich, »vielleicht findest du irgendwann mal eine unscheinbare Tussi, die möglicherweise mit dir ins Bett steigen will, wenn du lange genug drängelst, aber bestimmt niemals einen Mann.« Emil lächelte tröstend und fügte hinzu: »Aber mach dir nichts draus. Du kannst ja nichts dafür, dass du hässlich bist.«
    Gunnar grinste wieder. »Was willst du zur Belohnung?«
    Emil nahm sich ausreichend Zeit für die Antwort und sagte schließlich: »Der Blaue Baron hatte im vergangenen Monat das Pech, sich an jemandes Brieftasche zu vergreifen. Er hat das Missgeschick aber erst drei Tage später kapiert, so lange hat er sich mithilfe der Scheckkarten, die in dieser Brieftasche steckten, voll laufen lassen. Es würde der konzentrierten Arbeit in dieser Gruppe sehr zustatten kommen, wenn das polizeiliche Protokoll unversehens verloren ginge.«
    Gunnar zog die Nase kraus. »Ich schau mir die Akte mal an, wenn ihr irgendwas zustande bringt.«

15:10
    K ristján und Birkir statteten der Mutter von Leifur Albert einen Besuch ab, die in Akureyri wohnte. Sie lebte allein in der unteren Etage eines alten Zweifamilienhauses an der Munkaþverárstræti, nicht weit vom Polizeidezernat, und arbeitete als Krankenpflegerin im Bezirkskrankenhaus, hatte aber an diesem Tag frei, was sie telefonisch in Erfahrung gebracht hatte.
    Eine korpulente Frau um die fünfzig kam zur Tür, als sie klingelten. Birkir fand, dass sie irgendwie bedrückt aussah. Das war vielleicht auch nicht verwunderlich, nach dem, was sie durchgemacht hatte.
    Sie kannte Kristján und ließ die beiden ein.
    »Das ist Birkir Hinriksson von der Kriminalpolizei in Reykjavík«, sagte Kristján, indem er auf seinen Begleiter deutete, nachdem er der Frau zur Begrüßung die Hand geschüttelt hatte.
    »Mein Name ist Sólveig«, sagte sie, als Birkir sie grüßte.
    Die Wohnung war zwar ordentlich, aber die Möbel alt und verschlissen. An den Wänden hingen gerahmte Bilder, Nachdrucke von Gemälden, Landschaftsaufnahmen und

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