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Bevor der Morgen graut

Bevor der Morgen graut

Titel: Bevor der Morgen graut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Arnar Ingolfsson
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Magnús hatte gerade eine neue Fliege in Angriff genommen, als der Minister fragte, ob es nicht sinnvoll sei, ausländische Experten hinzuzuziehen.
    Magnús verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Ich glaube, das steht noch nicht an«, sagte er und pustete auf ein winziges Tröpfchen Kleber am Ende des Fadens, mit dem er die Federn am Haken befestigte. »Aber ich werde die Möglichkeiten überprüfen, die uns diesbezüglich offen stehen«, fügte er hinzu, um zu verhindern, dass der Minister sich persönlich einmischte. Sie verabschiedeten sich, und nach kurzer Zeit hatte Magnúswieder alles um sich herum vergessen und gab sich Tagträumen hin, in denen er bei Windstille und ein wenig Nieselregen an einem friedlichen Fluss stand und Forellen angelte.

21:00
    S ímon musste nach seinem Gespräch mit Ragnar nicht mehr zum Kommissariat zurück und konnte direkt zu seiner Frau nach Hause gehen. An diesem Abend war nur Dóra im Dienst, um Telefon und Computer zu bewachen. Die anderen sollten Kräfte sammeln, wie Magnús es ausgedrückt hatte, indem sie den Schlaf der Gerechten schliefen. Für den nächsten Morgen war wieder eine Besprechung anberaumt, auf der er von seinem Erfolg berichten konnte. Símon freute sich schon darauf, die Gesichter der anderen zu sehen, denn das waren ganz neue Informationen, die er und kein anderer in Erfahrung gebracht hatte, indem er die richtige Frage zum richtigen Zeitpunkt stellte. Vielleicht würden ihn die anderen von nun an ernst nehmen und ihm wichtigere Aufgaben übertragen.
    Símon war seit einem knappen Jahr bei der Kriminalpolizei, nachdem er zuvor zwei Jahre in der Abteilung für polizeiliche Prävention tätig gewesen war. Er hatte ganz jung als Verkehrspolizist angefangen und gleichzeitig bei diversen Erstligavereinen im dicht besiedelten Südwesten Islands Fußball gespielt. Dann hatte er in Norwegen als Halbprofi bei einer Zweitligamannschaft in Oslo sein Glück versucht. Gleichzeitig machte er eine Spezialausbildung in der Organisation von Präventivmaßnahmen an der dortigen Polizeiakademie. Die Vorgeschichte war, dass sich die Polizeipräsidenten von Oslo und Reykjavík anlässlich eines gemeinsamen Polizeikongresses getroffen und vereinbart hatten, ein Austauschsystem zwischenden Polizeiakademien einzurichten. Zuerst wurde ein norwegischer Polizeianwärter nach Island geschickt, der aber nach zwei Wochen das Handtuch warf und erklärte, er würde es nie schaffen, Isländisch zu lernen. Símon war insofern als erster isländischer Austauschstudent prädestiniert, als er sich sowieso in Oslo befand. Er war zwar mit dem sozialwissenschaftlichen Teilstudium innerhalb dieser Ausbildung völlig überfordert, aber man schleuste ihn trotzdem durch das Examen, da es unhöflich erschien, den Austauschstudenten des isländischen Polizeipräsidenten durchfallen zu lassen. Das war dann allerdings auch Anfang und Ende des Austauschprogramms.
    Da Símon in der norwegischen Mannschaft nicht mehr aufgestellt wurde, ging er zurück nach Island und begann wieder als Verkehrspolizist. Als aber die Stelle eines Bereichsleiters in der Abteilung für Prävention frei wurde, hatte Símon ein Examen vorzuweisen, sodass man nicht an ihm vorbei konnte, als er sich auf die Stelle bewarb. Es stellte sich jedoch bald heraus, dass er völlig ungeeignet für diese Position war. Trotzdem brauchten seine Vorgesetzten zwei Jahre, um eine Lösung für dieses Problem zu finden, die darin bestand, ihn in die Abteilung für Kapitalverbrechen abzuschieben und ihm bei entsprechenden Leistungen baldige Beförderung in Aussicht zu stellen. Nach Símons Ansicht lief es aber nicht so, wie es sollte, und er ärgerte sich maßlos, dass er immer nur Kleinkram bearbeiten durfte. Wenn jemand in Reykjavíks Innenstadt die Fresse poliert bekam, musste Símon nach Zeugen suchen, Protokolle schreiben und versuchen, den haarsträubenden Lügengeschichten der beteiligten Kleinkriminellen oder Geisteskranken auf den Grund zu gehen. Sobald es um eine größere Sache ging, ließ man ihn links liegen. Dieses Mal wollte er es ihnen aber beweisen, dass er einen Mordfall aufklären konnte.
    Wunschvorstellungen dieser Art schwirrten ihm im Kopfherum, als er nach Hause kam, und waren vor seinem inneren Auge bereits so real geworden, dass er überzeugt war, den Fall ganz allein gelöst zu haben. Er sah schon vor sich, wie er am nächsten Morgen seinen Kollegen darlegen würde, wie alles zusammenhing, und sie staunten ihn mit offenen

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