Bevor der Tod euch scheidet (German Edition)
längst klar gewesen, dass diese Ehe niemals Wirklichkeit werden würde?
Natürlich will sie mich gar nicht.
Hart weigerte sich, an die Zeit zurückzudenken, als er ein kleiner Junge gewesen war, ein schmächtiger Bursche, der stets Hunger gehabt hatte, der sich in dem einen Zimmer, das die ganze heruntergekommene Wohnung darstellte, ein Bett mit Rick hatte teilen müssen. Er wollte nicht an ihre Mutter Lily denken, wie sie am Herd stand und nicht ihn, sondern seinen Bruder anlächelte und zu Rick sagte, wie wundervoll er sei. Er weigerte sich auch, an die letzten Tage ihres Lebens zurückzudenken, als er so schreckliche Angst davor hatte, dass sie ihn verlassen würde. Es war stets Rick gewesen, den sie sehen wollte und dem sie Dinge ins Ohr flüsterte.
Jetzt war er längst erwachsen. Er wusste, sie hatte Rick schwören lassen, sich um seinen jüngeren Bruder zu kümmern, doch durch diese Tatsache änderte sich gar nichts. Lily hatte Rick sehr geliebt, und bis zum heutigen Tag wusste Hart nicht einmal, ob sie ihn überhaupt gewollt hatte. Je schwieriger sein Verhalten wurde, umso mehr ging sie zu ihm auf Distanz. Ihn hatte sie auf eine kummervolle Weise angesehen; Rick hatte nie solche Blicke geerntet.
Wie hatte sein leiblicher Vater Paul Randall einst gesagt? Du warst ein Irrtum!
Mit sechzehn wurde Hart zur Princeton University zugelassen. Zwar war Rathe ein enger Freund des Universitätspräsidenten, jedoch waren seine Prüfungsergebnisse so überragend ausgefallen, dass eine Zulassung in seinem Alter gerechtfertigt werden konnte. Anstatt aber nach New Jersey zu reisen und sich für sein erstes Semester einzuschreiben, begab er sich nach New York City. Die Rückkehr nach Manhattan als junger Mann, der sich einen Anzug leisten konnte und ein paar Dollar in der Tasche hatte, kam ihm seltsam und zugleich auch aufregend vor. Es gefiel ihm, sich an den Straßenrand zu stellen, die Hand zu heben und zu sehen, wie prompt eine Droschke anhielt. Und es gefiel ihm, ein teures Restaurant zu besuchen und mit „Sir“ angeredet zu werden. Aber die Reise in die Stadt war keineswegs spontan erfolgt, vielmehr hatte Hart einen Privatdetektiv angeheuert, damit der seinen leiblichen Vater ausfindig machte. Der war nicht nur auf Paul Randall gestoßen, sondern hatte ihn auch mit der Tatsache konfrontiert, dass er weitere Halbgeschwister hatte.
Randall lebte damals an der Ecke siebenundfünfzigste Straße und Lexington Avenue – in dem Haus, in dem er im letzten Februar ermordet worden war. Von ungewohnter Nervosität erfasst, hatte Hart sich dem Wohnhaus genähert, und obwohl er eine lässige, selbstbewusste Vorstellung geprobt hatte, fehlten ihm die Worte, als er vor der Haustür stand. Im Zug nach Manhattan hatte er sich ihre erste Begegnung ausgemalt, und auch wenn er nicht zu Optimismus neigte, nahm dieses Zusammentreffen in seiner Fantasie in allen Variationen ein gutes Ende.
Als er Randall seine Identität preisgab, wurde der Mann vor Schreck kreidebleich. Anstatt ihn ins Haus zu bitten, kam er nach draußen und zog die Tür hinter sich zu. „Warum bist du hier?“, fragte Randall ihn aufgebracht. „Was willst du hier? Großer Gott, meine Frau darf davon unter keinen Umständen etwas erfahren!“
Hart war sofort klar, dass sein Vater nichts mit ihm zu tun haben wollte. „Aus einem unerklärlichen Grund hielt ich es für angebracht, dass wir uns kennenlernen“, erwiderte er ernüchtert.
„Es ist aber nicht angebracht!“, gab Randall zurück. „Geh jetzt bitte, und komm nie wieder her.“ Dann schlug er ihm die Tür vor der Nase zu.
Hart, der versuchte, einfach gar nichts zu empfinden, hörte von drinnen seine Halbgeschwister fragen, wer da geklopft hatte.
„Ach, nur ein Junge, der ein Lexikon verkaufen wollte“, antwortete ihr Vater.
Die Erinnerung an dieses Malheur ging fast nahtlos in die Enttäuschung über seine jüngste Zurückweisung über. Nun war es Francesca, die ihn zurückgewiesen hatte. Ihr so bedingungslos zu vertrauen, wie er es gemacht hatte, entpuppte sich nun als Fehler. Er war bloß zweite Wahl und würde immer der Mann sein, mit dem sie sich begnügte. Nur, dass sie jetzt offenbar zu dem Schluss gekommen war, sich nicht mit ihm begnügen zu wollen.
Er drehte sich um und sah mit Erstaunen, dass Rick noch immer Nicole befragte, als würde er in einem Kriminalfall ermitteln. Aber davon konnte wohl kaum die Rede sein. Was Hart anging, war der Fall abgeschlossen.
Plötzlich kam Rick
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