Bevor der Tod euch scheidet (German Edition)
Schlussfolgerung war nicht möglich. Aber sie würde nicht ihre Hochzeit versäumen. Irgendwie würde sie schon einen Weg aus diesem verdammten Souterrain finden! Sie liebte Calder Hart, und sie konnte es nicht erwarten, endlich seine Frau zu sein. Auf keinen Fall würde sie ihn vor dem Altar auf sie warten lassen, so viel stand fest!
Während sie zu ihrer Handtasche ging, überlegte sie, wer ihr das wohl angetan haben mochte. In den letzten sechs Monaten hatte sie sich etliche Feinde gemacht. Bei jedem von ihr aufgeklärten Verbrechen waren die Täter für ihre Vergehen bestraft worden, und die Liste derjenigen, die sich an ihr rächen wollten, war vermutlich recht lang. Aber über die Namen auf dieser Liste würde sie erst nachdenken, wenn sie einen Weg aus dieser Galerie gefunden hatte und endlich mit Hart verheiratet war.
Sie kniete sich neben ihre offene Handtasche und suchte nach ihrer Taschenuhr. Ihr Herz machte einen Satz, als sie sah, dass es kurz vor vier war. Inzwischen befanden sich ihre Familie, Freunde und dreihundert weitere Gäste in der Kirche, und jeder – Hart eingeschlossen – wusste mittlerweile, dass sie nicht erschienen war.
Zweifellos war Hart in Sorge um sie. Hätte sie ihm doch durch Alfred eine Nachricht ausrichten lassen! Und hätte sie bloß Connie diese verdammte Karte mit der Adresse der Galerie gezeigt! Aber nein, nichts davon hatte sie gemacht, und nun wusste niemand, wohin sie mit der Droschke gefahren war.
Bestimmt rief sie schon seit einer Stunde um Hilfe, doch kein Passant wurde auf sie aufmerksam. Das Ladenlokal lag zu tief unter Straßenniveau, sodass niemand sie sehen konnte, und ganz offenbar drangen ihre Rufe auch nicht weit genug vor, um von irgendjemandem gehört zu werden. Es musste aber doch noch einen anderen Weg aus der Galerie geben!
Die Schaufenster und die Glasscheibe in der Tür schieden aus, da die Gitterstäbe zu wenig Spielraum ließen. Also blieb nur das rückseitig gelegene Büro. Eilig durchquerte sie die Galerie und hoffte inständig, dass die Fenster dort nicht ganz so klein waren, wie sie es in Erinnerung hatte.
Beim Betreten des Raums fiel ihr Blick zu den beiden Fenstern dicht unter der Decke des Büros, die sich auf Straßenniveau befanden. Durch die kleinen Rechtecke fiel kaum genug Licht, um das Zimmer zu erhellen. Jedes der Fenster musste in etwa fünfundvierzig bis fünfzig Zentimeter breit und etwa halb so hoch sein.
Francesca war von zierlicher Statur. Aber selbst wenn sie es irgendwie bis dort oben schaffte und es ihr gelang, die Scheiben einzuwerfen, fürchtete sie, sich nicht durch einen derartig schmalen Spalt zwängen zu können. Sie fröstelte. Wäre dies nicht ausgerechnet der Tag, an dem sie heiraten wollte, würde sie weiter um Hilfe rufen, bis irgendwann jemand auf sie aufmerksam wurde. Heute aber war sie fest entschlossen, ihr Ehegelübde abzulegen – auch wenn sie zu spät in der Kirche eintraf. Was jetzt eindeutig der Fall sein würde.
Sie schaute sich um. Sie musste den Schreibtisch an die Wand schieben und den Aktenschrank auf den Tisch wuchten, wenn sie an die Fenster gelangen wollte. Der Schreibtisch war recht klein, jedoch überraschend schwer, sodass es eine Weile dauerte, ehe sie ihn durch das beengte Büro bewegt hatte. Dann wischte sie mit einer resoluten Armbewegung alles weg, was auf der Tischplatte lag. Als Nächstes widmete sie sich dem Aktenschrank, den sie mit viel Mühe auf den Schreibtisch bugsierte. Ihr Rücken schmerzte, und sie schnappte keuchend nach Luft, während sie dastand und nach oben sah.
Mit grimmiger Miene betrachtete Francesca die Fenster. Wenn sie dort stecken blieb, konnte es durchaus sein, dass sie den ganzen Abend und die ganze Nacht dort verbringen musste. Das war eine äußerst erschreckende Aussicht.
Aber ihr blieb keine andere Wahl. Also zog sie Schuhe und Strümpfe aus, um besseren Stand zu haben, dann stieg sie auf den Schreibtisch und testete zunächst den Aktenschrank, ob der nicht wackelte. Wie es schien, lag er fest und sicher auf dem Tisch. Francesca raffte ihre Röcke, kletterte auf den Schrank und suchte mit den Fingern an der rauen Wand nach Halt. Normalerweise litt sie nicht unter Höhenangst, doch jetzt befand sie sich gut einen Meter achtzig über dem Boden, und sie hielt ihre behelfsmäßige Leiter nicht für allzu vertrauenswürdig. Aber wenn sie hier hinauskommen wollte, konnte sie jetzt nicht kehrtmachen. Seufzend richtete sie sich ganz langsam auf.
Plötzlich
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