Bevor der Tod euch scheidet (German Edition)
Erpresser gegenübertreten. Mit finsterer Miene sah sie Joel an, doch ihre Gedanken kreisten um Bill Randall.
Bei der letzten Begegnung mit ihm war er bösartig und grausam gewesen: Er hatte sie im Schlafzimmer seiner Schwester gnadenlos ans Bett gefesselt. Zwar war es ihr gelungen, zu fliehen – doch als ihm das auffiel, kam es zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung, aus der sie zum Glück als Siegerin hervorging, weil es ihr gelang, ihm eine Bratpfanne auf den Kopf zu schlagen.
Er war bereits von einem intensiven Hass auf sie erfasst gewesen, noch bevor sie seine Schwester als Mörderin hatte entlarven können. Jetzt, da Mary im Bellevue einsaß und seine Mutter eine Gefängnisstrafe verbüßte, musste sein Hass auf sie umso stärker geworden sein. Sie fürchtete, dass er derjenige war, der sie auf der Brücke erwartete.
Aber sie unterdrückte diese Angst; immerhin würde sie in Kürze ihr Porträt zurückerhalten. Sie atmete tief durch, öffnete die Handtasche und betrachtete die zwei kleinen Pistolen, die darin lagen. Dann nahm sie die unlängst erworbene heraus und sah Joel an.
Er stutzte. „Ist das eine neue Pistole?“
„Richtig. Mir ist klar geworden, dass ich besser eine in Reserve habe. Heute wirst du die zweite Waffe tragen.“
Joel bekam den Mund nicht mehr zu. „Ich hab doch noch nie auf irgendwen oder irgendwas geschossen!“
„Keine Angst, da ist keine Munition drin.“ Es wäre schrecklich verantwortungslos gewesen, dem Jungen eine geladene Waffe zu geben. „Aber du wirst für meinen Schutz sorgen. Ich gehe davon aus, dass wir es mit Bill Randall zu tun bekommen. Er kennt dich nicht. Du kannst die Pistole unter deinem Hemd verstecken. Lass sie dort, es sei denn, mir droht Gefahr. Er weiß schließlich nicht, dass sich keine Patronen in den Kammern befinden.“
Joel lächelte sie an. „Ich kann sie unter meinen Gürtel schieben und das Hemd drüberziehen“, erklärte er sichtlich begeistert.
Einmal mehr überlegte sie, ob sie Hart die Wahrheit hätte sagen sollen. In diesem Moment wäre er über ihr Verhalten alles andere als erfreut gewesen. Aber sie hatte Randall schon einmal geschlagen, und ganz sicher würde ihr das auch ein zweites Mal gelingen.
Aber sie durfte die Möglichkeit nicht außer Acht lassen, dass Randall gar nicht der Erpresser war. Es war auch denkbar, dass sie mit Solange zusammentraf, die sie für eine noch viel gefährlichere Widersacherin hielt. Solange war gnadenlos und zudem sehr gerissen. „Ich werde mit der Tasche für den Erpresser auf der Brücke warten. Aber du wirst vorgehen, Joel, und ich möchte, dass du diesen Ball mitnimmst und damit spielst, und zwar etwa in der Mitte der Brücke. Wenn du siehst, dass unser Dieb mit mir Kontakt aufnimmt, tu so, als hättest du nichts davon bemerkt, während du uns in Wahrheit ganz genau beobachtest. Wenn alles gut verläuft, werde ich die Tasche gegen das Porträt tauschen. Wenn du aber siehst, dass irgendetwas nicht stimmt, zieh die Pistole und komm zu mir gelaufen.“
„Keine Angst, Miss Cahill!“, entgegnete Joel so selbstsicher, dass es an Arroganz grenzte. „Wir haben bereits schlimmere Sachen erlebt. Wir kriegen das Bild schon, und den Erpresser auch!“
Hoffentlich hat der Junge recht, dachte Francesca und sah wieder aus dem Fenster. Die Brücke war ein schönes Bauwerk aus hellgrauem Stein, das sich über den See erstreckte. Ein paar Fußgänger und Kutschen waren auf ihr unterwegs. Auf dem See schwammen Enten und Schwäne, ebenso ein kleines Spielzeugsegelboot. Ihr fielen zwei Jungs am Seeufer auf dieser Seite der Brücke auf, denen das Boot zu gehören schien. Am azurblauen Himmel hingen ein paar Wolken, die wie große Wattebausche wirkten, und die Sonne strahlte. Es war der perfekte Sommertag.
Mit ein wenig Glück nahm der Albtraum, der mit dem Diebstahl ihres Porträts seinen Lauf genommen hatte, in wenigen Minuten sein Ende. Sie klopfte an die Decke der Kutsche, sodass sie anhielt. Joel und sie stiegen aus, und die Kutsche, die sich eine Zeit lang hinter ihnen befunden hatte, überholte sie nun.
Raoul saß da und wartete auf seine Anweisungen. „Warten Sie hier“, bat Francesca ihn. „Ich gehe höchstens bis zur Mitte der Brücke. Ich weiß nicht, ob der Schurke, mit dem ich mich treffe, Ärger machen wird oder nicht.“
Der große Kutscher spanischer Abstammung brummte nur als Erwiderung. Er hatte im kubanischen Unabhängigkeitskrieg zusammen mit Teddy Roosevelt bei den Rough Riders
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