Bevor der Tod euch scheidet (German Edition)
Küche gestürmt. „Jemand hat oben im Bett geschlafen! Im Schlafzimmer des Gentleman!“
Francesca drehte sich zu ihm um. Sie war sich sicher, dass Bill Randall im Haus seiner Familie logierte. Sosehr sie sich auch wünschte, ihn zu fassen zu bekommen, hoffte sie doch, dass er nicht im nächsten Moment zur Tür hereinkam. Sie wusste nicht, wie Hart dann reagieren würde.
„Und im anderen Schlafzimmer ist auch jemand gewesen“, ergänzte Joel, dessen Augen vor Begeisterung funkelten.
Francesca stutzte. „Bist du dir sicher?“
„Kommen Sie mit“, meinte er grinsend.
Im Gänsemarsch gingen sie die schmale Treppe nach oben, wo Joel sie in Marys kleines, spartanisch eingerichtetes Schlafzimmer führte, das noch immer so aussah wie zu dem Zeitpunkt, als Francesca hier gefangen gehalten worden war. Nur war das Bett nicht gemacht. Die Decken waren zur Seite geschlagen, das Kopfkissen wies eine Einbuchtung auf, als hätte erst vor Kurzem jemand darauf gelegen. Außerdem stand das einzige Fenster im Zimmer offen.
Sie schaute zu Hart. „Ja, dieses Zimmer wird zweifelsfrei benutzt“, murmelte der.
„Joel, wo ist das andere Schlafzimmer?“, wollte Francesca wissen, die sich mit einem Mal sehr unbehaglich fühlte.
Der Junge führte sie durch den Flur in den gegenüberliegenden Raum. Dort war das Bett zwar gemacht, aber auf dem Tisch standen diverse Toilettenartikel, außerdem lag dort eine zwei Wochen alte Harper's Bazar -Ausgabe. Als sie sich dem Bett näherte, roch sie das Eau de Cologne eines Mannes. Ihr Magen drehte sich um. Sie glaubte, den Geruch wiederzuerkennen. In jedem Fall erinnerte er sie an Randall.
„Für mich gibt es keinen Zweifel, dass Bill sich hier einquartiert hat, zusammen mit einem Komplizen“, erklärte Hart entschieden. „Es ist schon spät. Wir bringen Joel heim, danach setze ich dich zu Hause ab. Du bist bereits seit dem Morgengrauen auf den Beinen.“
Er machte sich Gedanken darüber, dass sie nach Hause kam und sich ausruhte? Während sie sich ein triumphierendes Lächeln verkniff, sagte sie: „Bragg muss dieses Haus unbedingt beobachten lassen.“
„Ich rufe ihn an, wenn wir zu Hause sind.“
Sie überlegte, ob seine Worte bloß ein Versprecher waren oder ob sie etwas zu bedeuten hatten. „Vielleicht sollten wir einen Umweg zum Bellevue Hospital einlegen und mit Mary reden. Wenn Bill es sich schon zur Gewohnheit gemacht hat, seine Mutter zu besuchen, möchte ich wetten, dass er auch nach seiner Schwester sieht.“
„Da möchte ich nicht dagegenwetten“, sagte Hart.
Auf dem Weg nach unten wurde Francesca bewusst, wie erschöpft sie eigentlich war. Mary Randall war wirklich die Letzte, mit der sie jetzt noch reden wollte; immerhin war sie noch nie einer Frau begegnet, die wütender oder verbitterter gewesen wäre. „Es war tatsächlich ein sehr langer Tag“, beklagte sie sich, um sein Mitgefühl zu wecken. Aus dem Augenwinkel sah sie Hart an, doch der tat so, als würde er das nicht bemerken. Sie schlossen die Haustür von innen ab und verließen das Haus durch die offene Tür im Salon. Als Hart noch immer nicht reagierte, fügte sie hinzu: „Nicht nur, dass ich im Morgengrauen aufgestanden bin, ich habe letzte Nacht auch so gut wie gar nicht geschlafen.“
Hatte Hart soeben den Mundwinkel verzogen? Er sah sie an, nahm ihren Ellbogen und führte sie zurück bis auf den Fußweg vor dem Haus. „Was willst du, Francesca?“
Sie lächelte. „Ich will nichts lieber als einen guten, starken Drink.“
ZWÖLF
Montag, 30. Juni 1902
18 Uhr
Sie starrte auf die Kleidung, die auf ihrem Bett ausgebreitet lag. Für jeden Anlass hatte sie die passende Robe – ob es eine Einladung zum Tee oder zum Mittagessen war, ob es um einen Spaziergang oder einen Einkaufsbummel bei B. Altman's oder bei Lord & Taylor ging, ob es sich um eine Wohltätigkeitsveranstaltung oder ein Galadinner handelte. Leigh Anne starrte hilflos auf den Berg Kleider, während Katie sich nervös rechts von ihr aufhielt und Nanette – das neue Kindermädchen – geduldig wartete.
Warum konnte sie sich nicht entscheiden, welche Kleider sie für das Feiertagswochenende einpacken sollte? Genauso wenig war sie in der Lage, sich das kommende Wochenende mit Rick und den Mädchen in dem kleinen Cottage am Strand vorzustellen. Es war, als hätte sich ein dichter Nebel um ihr Gehirn gelegt, der jeden klaren Gedanken unmöglich machte. Sie konnte sich ja nicht einmal entscheiden, ob sie mit den Kindern einen
Weitere Kostenlose Bücher