Bevor der Tod euch scheidet (German Edition)
Spaziergang unternehmen sollte oder nicht.
„Nimm doch das hellblaue, das dunkelrosa und das mit den grünen Streifen“, flüsterte Katie.
Leigh Anne sah das Mädchen an, das die Mundwinkel heruntergezogen hatte und dessen Augen von Angst und Nervosität erfüllt waren. Irgendwie gelang es ihr, nach Katies Hand zu greifen und sie zu drücken. „Was für eine reizende Wahl!“ Dabei lächelte sie so strahlend, wie sie nur konnte, obwohl sie sich wie lebendig begraben fühlte. Sie benötigte neue Kleider, graue und beigefarbene, ja, vielleicht sogar schwarze Kleider – gedeckte Farbtöne, die besser zu einer gehbehinderten, an den Rollstuhl gefesselten Frau passten.
Ihr rechtes Bein schmerzte. Wo war ihr Tee? Der Tee, in den sie großzügig Brandy eingerührt hatte.
„Dann werde ich diese Kleider gleich einpacken“, erklärte Nanette gut gelaunt. „Möchten Sie sonst noch etwas in den Urlaub mitnehmen? Am Strand könnte ein kühler Wind wehen, Mrs Bragg.“
Die Französin lächelte immerzu. Warum war sie nur ständig so fröhlich? Wusste sie nicht, dass sich jeden Moment irgendeine Tragödie ereignen konnte, durch die das Leben völlig auf den Kopf gestellt wurde und aus den Fugen geriet?
Plötzlich brachte Katie ihr die Teetasse. Leigh Anne nahm sie an und bekam vor Verlegenheit rote Wangen, während sie dem Blick des Kindes auswich. Sie wusste, die Kleine hatte mit angesehen, wie sie Brandy in die Tasse gegossen hatte. „Vielen Dank“, sagte sie leise.
Leigh Anne war bewusst, dass sie sich zu einer schrecklichen Mutter entwickelt hatte. Aber wie war es bloß dazu gekommen, wenn sie doch ihre Mädchen so sehr liebte? Natürlich hatten sie immer noch Rick, auf den sie sich stets verlassen konnten. Nur war er in letzter Zeit kaum einmal zu Hause anzutreffen.
Er behauptete, er müsse Überstunden machen, damit alles bereit war, wenn sie am Donnerstag ihren Urlaub antraten. Sie versicherte ihm, volles Verständnis für die immensen Anforderungen zu haben, die sein Posten als Police Commissioner an ihn stellte. Jedoch wusste sie auch, dass er viel Zeit mit Francesca verbrachte, um in irgendwelchen Kriminalfällen zu ermitteln. Dass er das tat, störte sie nicht… oder vielleicht doch?
„Können wir nach unten gehen?“, fragte Katie leise und riss Leigh Anne aus ihren düsteren Gedanken.
„Ja, natürlich können wir das“, antwortete sie und rang sich zu einem Lächeln durch, während Peter gerufen wurde. Nach unten getragen zu werden, war für sie ein Gräuel, das ihr heute noch mehr zu schaffen machte als sonst. Überhaupt war dieser Tag schlimmer als die meisten anderen. Manche Tage kamen ihr so finster vor, dass sie einfach keine Hoffnung schöpfen konnte.
Wenig später waren die Kinder im Esszimmer und begannen mit dem Abendessen, als plötzlich die Türglocke läutete. Leigh Anne konnte sich nicht vorstellen, wer ihr zur Essenszeit einen Besuch abstatten könnte, zumal keine ihrer Bekannten sie mehr aufsuchte. Sie alle taten so, als hätte sie die Stadt verlassen oder als würde sie schlicht nicht mehr existieren. Noch jetzt versuchte Leigh Anne, die peinlichen Begegnungen mit den anderen Gästen auf der Hochzeit zu vergessen.
Tatsache war, dass Leigh Anne für die Welt um sie herum nicht mehr da war und stattdessen eine Fremde ihren Platz eingenommen hatte.
Sie nickte Peter zu, damit er die Tür öffnete, obwohl sie kein Verlangen danach hatte, irgendwelche Gäste zu unterhalten. „Dot“, sagte sie zu der ungestümen Zweijährigen. „Magst du deinen Hackbraten nicht? Du sollst nicht damit spielen, sondern ihn essen.“
„Ich helfe ihr schon“, versicherte Nanette ihr und nahm dem Mädchen die Gabel aus der Hand.
Unwillkürlich musste Leigh Anne daran zurückdenken, wie sie selbst Dot beim Essen geholfen hatte, ohne dass sie und das Mädchen danach von oben bis unten bekleckert waren. Aus dem Flur waren Schritte zu hören, die von den hohen Absätzen von Damenschuhen herrührten, und Leigh Anne verkrampfte sich innerlich.
„Hallo, Leigh Anne! Ach, was für ein reizendes Bild! Die ganze Familie beim Abendessen versammelt. Jetzt fehlt nur noch der Police Commissioner“, begrüßte Bartolla Benevente sie mit strahlender Miene.
Leigh Anne versteifte sich. Was wollte diese Frau denn hier? Sie betrachtete Bartolla nicht länger als eine Freundin, da allzu offensichtlich war, dass die sich an ihrer Behinderung erfreute. Vor langer Zeit waren sie in Europa unterwegs gewesen und hatten
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