Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bevor du stirbst: Roman (German Edition)

Bevor du stirbst: Roman (German Edition)

Titel: Bevor du stirbst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Grebe , Åsa Träff
Vom Netzwerk:
in Seidenpapier eingeschlagen in seinem Kleiderschrank.
    Dann schlief er ein.

Stockholm 2010

Montag bedeutet Besprechung in der Praxis. Unsere kleine Teeküche duftet nach Kaffee und Zimtschnecken, die Marianne auf dem Weg hierher gekauft hat. Sie dreht sich um, stemmt für einen Moment die Hände in die breiten Hüften, reißt die Augen auf und schaut mich fragend an.
    »Was?«
    »Kaffeetassen«, sage ich ohne weiteren Kommentar.
    Marianne ist unsere Rezeptionistin und Sekretärin. Ein ganzes Jahr mussten wir ohne sie zurechtkommen, während sie nach einem schweren Autounfall, der sie fast das Leben gekostet hatte, in der Reha war. Aber obwohl sie nun hier steht und so aussieht wie immer, hat sie einen hohen Preis bezahlt. Sie ist nicht mehr dieselbe. Mariannes Ärzte sprachen von diffusen Schäden in den Frontallappen des Gehirns. Verletzungen, die für eine seltsame Persönlichkeitsänderung sorgen. Marianne, die früher ein Wunder an Effektivität und Energie war, ist jetzt verschlossen und schweigsam. Sie zeigt keine starken Gefühle mehr, eigentlich zeigt sie überhaupt keine Gefühle. Und ihr scharfer Witz ist verschwunden. Sie missversteht unsere ironischen Scherze, kann bei unseren langen Diskussionen nicht mithalten und scheint manchmal minutenlang in irgendeine Art von Trance zu versinken.
    Sie ist Marianne und ist es eben doch nicht.
    Noch bevor er das Zimmer betritt, höre ich Sven auf dem Gang pfeifen. Das bedeutet, dass er guter Laune ist. Er ist jetzt meistens guter Laune, genauer gesagt, seit er Sara kennengelernt hat.
    Sara ist sechsundzwanzig und arbeitet bei der Missbrauchsgruppe des Sozialamtes von Södermalm. Sven ist achtundfünfzig. Ich denke müde, dass das ja reichen muss, um guter Laune zu sein.
    »Guten Morgen, ihr schönen Nymphen«, sagte er grinsend, als er sich auf den weißen Stuhl mir gegenüber sinken lässt, aber ich bringe keine Antwort über die Lippen, ich muss mir einfach Svens neueste Errungenschaft ansehen. Gelb und blau gemusterte Turnschuhe, ein Modell, von dem ich nicht wusste, dass es auch für erwachsene Männer hergestellt wird. Aina, die gleich hinter ihm hereingestürzt kommt, hat sie auch schon entdeckt.
    »Was ist denn aus deinen Birkenstocks geworden, mein Lieber?«, fragt sie und wickelt ihren langen lila Schal ab, streift die Lederjacke ab und gleitet auf einen Stuhl. Hemmungslos schnappt sie sich die beiden größten Zimtschnecken aus der Schüssel.
    Aber Sven lässt sich nicht beeindrucken. Er lacht und gießt Kaffee in eine der braunen Tassen, die Marianne auf den Tisch gestellt hat.
    Marianne lässt sich mühsam auf dem Hocker am anderen des Tisches nieder. Sie hat zugenommen. Aina glaubt, dass sie im Essen Trost sucht, jetzt, da sie wieder ledig ist. Ich denke, ein erwachsener Mensch von fast fünfzig sollte doch essen und trinken dürfen, was er will. Ohne dass die ganze Umgebung sich dazu eine Meinung bildet. Ein bisschen Fett hat ja wohl noch keinen Menschen umgebracht.
    »Fangen wir an?«, fragt Marianne mit heiserer Stimme.
    »Klar«, antwortet Aina mit vollem Mund.
    »Wir haben in dieser Woche zwei Neue. Eine Caroline Helsén, die zu Siri soll. Ja, das war die, die nicht sagen wollte, weshalb sie herkommt.«
    Ich nicke schweigend. Es kommt nicht so selten vor, dass Klienten ihre Gründe nicht nennen wollen, wenn sie am Telefon einen Termin ausmachen. Manchmal muss ich ganz schön hart arbeiten, ehe sie sich öffnen. Nicht allen fällt es leicht, zu einer Therapeutin zu gehen und zu reden. Für viele ist es eine grundlegende Erfahrung, sich einem Menschen, den sie nicht kennen, zu öffnen und ihre problematischsten Gedanken preiszugeben.
    »Ja.« Marianne zögert. »Dann ist da der Lagerarbeiter, der seinen Kollegen mit dem Gabelstapler totgefahren hat, der kommt vom Gesundheitsmanagement der Baugewerkschaft. Es geht ihm offenbar sehr schlecht. Sie hatten ihm auch einen Kontakt zu einem Psychiater vermittelt, und da wäre es sicher gut, wenn du sie anrufen und die Sache ein wenig abstimmen könntest, Aina.«
    »Sicher«, murmelt Aina, noch immer mit vollem Mund. »Wann kommt er?«
    »Ihr habt für Donnerstag einen Termin. Ich kann dir die Nummer der Kontaktleute von der Baugewerkschaft mailen.«
    »Ich kann auch gern neue Klienten übernehmen«, meldet sich jetzt Sven zu Wort.
    Aina schaut mich kurz an, hebt die Augenbrauen und lächelt. Sven hat schon lange nicht um weitere Klienten gebeten. Aber diese neue Beziehung, über die wir einfach immer

Weitere Kostenlose Bücher