Bevor du stirbst: Roman (German Edition)
sondern schaue nur den Schnee an, der im Mondschein umherwirbelt. Bald darauf klingt sein Atem wieder ruhig und regelmäßig.
»Und Sie wollen also sagen …«
Caroline Helsén starrt mit verlegenem Lächeln und hart zusammengebissenen Zähnen zu Boden, als ich zum dritten Mal frage, was sie herführt. Ich beschließe abzuwarten. Gieße mir aus der blauen mundgeblasenen Karaffe, die immer neben der Kleenexschachtel auf dem Tisch steht, ein Glas Wasser ein.
Draußen scheint die Sonne vor einem klaren blauen Himmel, ein Lichtstrahl durchschneidet die staubige Luft in meinem Sprechzimmer, färbt Carolines Haare golden.
Sie sieht jung aus.
Vielleicht, weil sie nicht geschminkt ist, die blonden Haare achtlos aufgesteckt hat und ein zerknittertes T-Shirt und Jeans trägt. Sie könnte irgendein beliebiger Teenager sein, der vor meiner Praxis unten über die Götgata geht. Aber ich weiß, dass es nicht so ist. Sie ist fast dreißig.
Die Stille füllt das Zimmer, nimmt zwischen uns Platz, und ich kann sehen, wie unbehaglich Caroline sich fühlt. Vielen Klienten fällt es schwer, Fragen sofort zu beantworten. Und nur wenige können die Stille ertragen.
Sie lacht wieder und schaut mich aus hellen, schmalen Augen an. Die Lachfältchen werden tiefer.
»Aber nun sagen Sie doch was«, sagt sie und kichert.
Ich zucke mit den Schultern und sehe sie einfach nur an.
»Meine Freunde meinten, ich sollte herkommen.«
Zuerst sage ich nichts, schaue verstohlen auf die Uhr auf meinem Schreibtisch. Fünfzehn Minuten ihrer ersten Stunde sind vergangen, und sie hat noch immer nicht erzählt, warum sie hier ist.
»Ihre Freunde?«
»Ja.«
Wieder verstummt sie und sieht mich an. Plötzlich ist sie ernst. Die Lachfältchen sind verschwunden, ihre Haltung eine andere. Sie lässt sich im Sessel zurücksinken und holt tief Luft.
»Sie finden, ich müsste weiterkommen.«
Ich nicke ihr zu und zeichne auf meinen Notizblock ein Dreieck. Aus der Küche höre ich Svens gedämpfte Stimme und ein schrilles Lachen, das ich für Ainas halte. Wir wollen wie immer um drei Uhr Kaffee trinken, und ich gehe davon aus, dass sie Kaffee kochen und den Kuchen auspacken.
»Warum finden Ihre Freunde, dass Sie weiterkommen müssen?« Caroline versinkt noch tiefer im Sessel. Runzelt die Stirn und verschränkt die Arme.
»Sie sagen, ich müsste Darius loslassen, meinen Exfreund. Weiterkommen. Mich zusammenreißen. Einen neuen finden.«
»Warum sagen sie das?«, frage ich und zeichne noch ein Dreieck auf meinen Block.
»Weil, als er … mich verlassen hat … da ist mein Leben irgendwie stehengeblieben«, sagt Caroline und schlägt plötzlich die Hände vors Gesicht. Ihre Schultern beben, aber von ihrem Weinen ist nichts zu hören.
Vorsichtig beuge ich mich vor und schiebe ihr die Kleenexschachtel hin.
»Sie sagen, er hat Sie verlassen. Können Sie beschreiben, was geschehen ist?«
Sie seufzt tief. Nimmt ein Papiertuch und putzt sich laut hörbar die Nase.
»Verzeihen Sie«, schluchzt sie. »Ich weiß ja, wie banal sich das anhört. Dauernd wird irgendwer verlassen.«
Ich gebe keine Antwort, nicke nur.
»Es war vor drei Jahren. Wir haben hier in Stockholm studiert, ich war im letzten Semester BWL . Darius und ich hatten eine Studentenwohnung. So eine etwas größere, mit zwei Zimmern. Wir waren seit zwei Jahren zusammen, waren verlobt, und sicher, ich weiß, es klingt wie ein Klischee, aber wir waren wirklich füreinander geschaffen. Wir hatten zusammen Spaß, hatten eine Menge gemeinsame Interessen, genau die gleichen Ansichten, es gab auch sehr viel erotische Spannung, die verschwand nie. Ich mochte seine Familie und er meine. Sie liebten Darius. Mein Vater sagte immer, jetzt hätte er endlich den Sohn, den er nie bekommen hatte. Alles war … perfekt. Verstehen Sie?«
Ich nicke, neugierig darauf, wohin diese Geschichte uns noch führen wird.
»Aber dann ist etwas passiert?«
Caroline nickt und putzt sich wieder die Nase.
»Darius hat eine Schwäche. Eine einzige verdammt kleine Schwäche in all der Perfektion, und zwar, dass er ungeheuer abhängig ist von Bestätigung. Fragen Sie mich nicht, warum, es hat sicher mit seiner Kindheit zu tun. Sie waren viele Geschwister. Ich nehme an, dass sie um die Aufmerksamkeit ihrer Eltern wetteifern mussten oder so. Jedenfalls«, Caroline schaut aus dem Fenster, kneift in der scharfen Wintersonne die Augen zusammen, »leider ist er an die Falsche geraten. An eine, die diese Schwäche gefunden und ausgenutzt
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