Bevor du stirbst: Roman (German Edition)
siehst auch scheiße aus, Latinlover. Wo sollten die denn die Beute versteckt haben? Im Sandkasten, lol?«
»Treuundglauben« steuert hilfsbereit bei, dass just an jenem Abend über Uppsala mehrere Ufos gesichtet wurden, was die Medien aber leider nicht berichtet haben. Das wiederum ist auch die Folge einer weltweiten Verschwörung. Und so weiter und so weiter.
Verschwörungstheorien mischen sich mit Klatsch und unnützem Wissen. Ich gähne unfreiwillig.
Leise wird an die Tür geklopft. Marianne schaut herein. Ihr Blick ist unruhig.
»Liebes Kind, du sitzt ja im Dunklen …«
Zu meiner Überraschung sehe ich, dass es draußen dunkel geworden ist. Ich schalte die Schreibtischlampe ein und massiere meine steifen Finger. Lächele verlegen. Aber Marianne ist nicht zu erweichen.
»Geh jetzt nach Hause, Siri.«
»Klar, ich muss nur schnell …«
»Nein, das musst du nicht. Du hast eine Familie, die zu Hause auf dich wartet.«
»Gib mir fünf Minuten.«
Sie nickt ernst und schaut auf die Uhr. Ich weiß, dass sie alles wortwörtlich nimmt, das gehört zu ihrer Krankheit. In genau fünf Minuten wird sie wieder klopfen.
Langsam und lautlos schließt sie die Tür.
Ich wende mich wieder dem Forum zu. »Daniel78« möchte wissen, welche Droge das Mädchen, das den Mord gese hen hat, genommen hatte. »Hellraiser« tippt auf Speedball, »Gurke« schwört dagegen auf LSD. »Anders10« schreibt, ohne Alkohol und Drogen gäbe es in unserer Gesellschaft nicht so viele Verbrechen. Und die, die wider Erwarten noch geschähen, würden blitzschnell aufgeklärt werden, da die möglichen Zeugen nüchterne und auf diese Weise zuverlässige Informationsquellen wären. Er fügt einen Link zur Seite einer christlichen Abstinenzlerorganisation hinzu.
Dann sehe ich es.
User »Lynette« schreibt: »So einfach ist das nicht, Anders. Ich habe mich nie dazu entschlossen, Junkie zu werden. Aber ich habe beschlossen, das, was ich gesehen habe, der Polizei zu erzählen. Ich finde, dass ich jedenfalls meine Verantwortung übernommen habe.«
Ich lese den Beitrag mehrmals und merke, wie mir eine Gänsehaut kommt. Wie sich eine unerklärliche Kälte um mich herum ausbreitet. Kann das wirklich stimmen? Kann »Lynette« die Zeugin aus dem Park sein?
Ich zögere eine Sekunde, beuge mich dann über die Tastatur, klicke auf das Profil von »Lynette« und schreibe.
Aina kauert in der Nische vor dem halb geöffneten Fenster. Ihre Hand hängt schlaff nach draußen. Ab und zu beugt sie sich vor und zieht gierig an der Zigarette. Neben ihr steht ein fast leeres Weinglas. Ich sitze am Küchentisch und trinke Tonic mit Zitronen. Die eiskalte Luft, die durch das Fenster hereinströmt, macht mir eine Gänsehaut. Vom Wohnzimmer her ist Jocke Bergs ein wenig nasale Stimme zu hören. Wir lassen in einer Nostalgieorgie alte Kent-Scheiben laufen. Aina ist jetzt ziemlich angetrunken, und obwohl ich nicht mehr trinke, werde ich in ihre Stimmung hineingezogen. Fühle mich fast beschwipst und lächele glücklich.
Solche Treffen zwischen uns sind selten geworden. Aber als Markus von dem Knoten in Ainas Brust und davon hörte, dass sie auf das Untersuchungsergebnis warten muss, drückte er mir den Wagenschlüssel in die Hand und sagte, ich sollte fahren. Und jetzt sitzen wir hier in Ainas Wohnung. Die kleine Einzimmerwohnung in der Blekingegata wurde in eine Dreizimmerwohnung mit Blick auf Helgalunden getauscht. Man kann doch nicht das ganze Leben wie ein Teenager hausen, erklärte Aina, als sie die schöne Wohnung aus den zwanziger Jahren kaufte. Man muss mit Würde altern.
»Warum hat es eigentlich nie mit jemandem geklappt?« Meine Frage überrascht sogar mich selbst. Ainas Männergeschichten sind etwas, über das wir meistens in scherzhaftem Tonfall reden. Als ob die Sehnsucht nach Zweisamkeit ihr nichts anhaben könnte.
»Gute Frage.« Aina zieht wieder an ihrer Zigarette und schüttelt fast unmerklich den Kopf. »Aber im Ernst, Siri. Ich weiß es wirklich nicht. Früher dachte ich, das sei die Schuld der Typen, aber ich vermute, dass es vielleicht an mir liegt. Dass ich eigentlich gar nicht will.«
»Aber hast du nie Sehnsucht? Nach etwas, das, ich weiß nicht …«
»Nach einem, mit dem ich den Alltag teilen kann? Ratenzahlungen und Hausputz? Supermarkt und Abwasch? Sex, der achtlos zweimal im Monat im gemeinsamen Bett ausgeführt wird?«
Aina grinst.
»Nein, meine Liebe, da ist mir mein einsames Leben mit ab und an ein bisschen Sünde und Leidenschaft
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