Bevor du stirbst: Roman (German Edition)
es Ihnen gelingen?«
»Aber was hat er also gesagt? Bitte!«
»Er hat verzeih mir gesagt. Verzeih mir, Nisse.«
»Nisse? Wer ist das?«
»Ich hab doch gesagt, dass Sie das nicht begreifen würden. Aber ja, er hat Nisse gesagt. Und jetzt muss ich los.«
Sie schaut auf ihre Uhr, eine neonrosa Armbanduhr, die viel zu groß an ihrem schmalen Arm wirkt, und steht auf. Dreht sich zu mir um und lächelt wieder dieses seltsame Lächeln, dann geht sie durch die Drehtüren der Söderhallen hinaus auf den Medborgarplatz und verschwindet in der Dunkelheit. Auf dem Tisch steht der weiße Teller mit der Rumkugel.
Ich sitze allein an meinem Schreibtisch in der Praxis. Draußen ist es dunkel geworden. Ich kann feine Schneeflocken sehen, die auf dem Weg zum Pflaster des Medborgarplatzes am Fenster vorbeirieseln. Der Hunger meldet sich zu Wort, aber der Kühlschrank in der Teeküche ist wie meistens leer, bis auf eine halbleere Colaflasche. Mein Telefon klingelt, stört für eine Sekunde die Stille, die sich barmherzig über die Praxis gesenkt hat. Markus ruft zum dritten Mal an, und ich weiß, dass ich rangehen muss.
Er will, dass ich nach Hause komme, lockt mit frischgekochter Pasta. Ich erkläre, so freundlich ich kann, dass ich ganze Stapel von Berichten schreiben muss, dass das Geld, leider, nicht von selbst angerollt kommt. Er scheint sich damit zufriedenzugeben. Berichtet, dass Erik wieder Ausschlag am Po hat, und fragt, ob er vielleicht den Kinderarzt anrufen sollte. Als er auflegt, verspüre ich vage ein schlechtes Gewissen, aber das verschwindet so schnell, wie es gekommen ist. Wie die Schneeflocken vor meinem Fenster.
Vorsichtig breite ich das Papier auf dem Tisch aus, die Zeitlinie, in der ich sorgfältig alle Begegnungen von Stefan und Anders eingetragen habe. Das rote Kreuz, das seinen Tod kennzeichnet. Und die neuen Namen: Ulrik Lundin, Mikael Arvidsson und Anna Kantsow alias Lynette.
Ich hole die Unterlagen aus dem Drucker. Schneide vorsichtig die Bilder aus, die ich im Netz gefunden habe. Ulrik Lundin im Anzug mit selbstsicherem Lächeln und vor der Brust verschränkten Armen. Ich habe ihn auf der Website seiner Firma gefunden. Dort sind Bilder aller wichtigen Mitarbeiter zu sehen. Nicht der Sekretärinnen. Nicht der Frauen an der Rezeption, aber der Männer mit Macht, dunklen Anzügen und farbenfrohen Schlipsen.
Vorsichtig fahre ich mit dem Klebestift über die Rückseite des Bildes von Ulrik und drücke es auf die Zeitlinie. Schreibe sorgfältig seinen vollständigen Namen rechts neben das Foto: Ulrik Wilhelm Lundin. Geboren am 23. August 1969.
Ich betrachte mein Werk einige Sekunden lang, dann mache ich mich an das nächste Papier. Mikael Arvidsson. Nicht ganz so leicht im Netz zu finden. Ich finde keine Auskünfte über Arbeitgeber oder Ehrenämter. Keine Zeitungsartikel. Das Bild, das ich endlich auf der Website des Sportvereins von Lidingö finde, ist alt und grobkörnig und zeigt drei Schwimmer auf einem Siegertreppchen. Mikael steht rechts vom Sieger, lächelt aber trotzdem breit.
Vorsichtig schneide ich den Sieger weg. Schneide ein sauberes Viereck aus und klebe das Bild unter Ulrik Lundin.
Carl Mikael Arvidsson. Geboren am 23. März 1969.
Das Gesicht von Anders Holmberg ist überall im Netz zu finden. Auf Websites und in Blogs. Der Mord scheint nicht nur in Schweden Aufmerksamkeit erregt zu haben, sondern auch im Ausland. Ich suche mir eines der Bilder mit höherer Auflösung. Die Sommersprossen, die Nase und Wangen bedecken, sind auf dem schwarzweißen Bild deutlich zu sehen.
Ich klebe das Bild von Anders ganz oben auf das Blatt. Zeichne einen roten Rahmen darum und setze sicherheitshalber neben ihn ein rotes Kreuz.
Anders Holmberg. Geboren am 2. Januar 1969. Gestorben am 25. Februar 2005.
Am Ende: Stefan. Das Bild liegt federleicht in meiner Hand. Es ist kein Ausdruck aus dem Netz, sondern eines der Fotos, die ich im Karton gefunden habe. Der dunkle Pony, der weich über sein rechtes Auge fällt. Der magere, schlaksige Körper, der das zu große T-Shirt ungefähr so elegant trägt, wie eine Zeltstange das tun würde. Das Lächeln. Das arglose Lächeln.
Ich schließe die Augen und erlaube mir, mich im Schmerz für eine Weile zu verlieren. Spüre, wie es in meiner Brust brennt, wie etwas Spitzes sich in mein Zwerchfell bohrt.
»Siri, was ist los?«
Sven beugt sich über mich. Ich fahre zusammen, kann meine Überraschung nicht verbergen. Ich war so sicher, dass ich in der Praxis allein
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