Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bevor du stirbst: Roman (German Edition)

Bevor du stirbst: Roman (German Edition)

Titel: Bevor du stirbst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Grebe , Åsa Träff
Vom Netzwerk:
kahlen Stelle oben auf dem Kopf. Unter dem einen Auge ahne ich einen Bluterguss, und eine tiefe Kerbe zieht sich über die Augenbraue. Er sieht viel älter aus als seine vierzig Jahre, als sei das Leben hart mit ihm umgesprungen.
    »Besuch für dich«, faucht Agneta. »Zum zweiten Mal in zwei Tagen. Wieso bist du plötzlich so beliebt?« Sie zündet sich eine neue Zigarette an und stapft aus dem Wohnzimmer, ohne sich umzusehen.
    Micke mustert mich misstrauisch, als er näher kommt. Als er mir die Hand reicht, nehme ich den unverkennbaren Geruch eines Menschen wahr, der sich sehr lange nicht gewaschen hat. Ich muss mir in die Lippen beißen, um nicht vor Abscheu zurückzuweichen.
    Er hebt die Hand an den frischen Schnitt in der Augenbraue.
    »Entschuldigung. Sicher sehe ich seltsam aus. Ich … bin gestern gegen etwas gestoßen.«
    Ich nicke, lächele. Versuche, nicht die klaffende Wunde anzustarren.
    »Ich heiße Siri Bergman. Wir haben vor einigen Tagen telefoniert. Ich war mit Stefan Bergman verheiratet, deinem alten Schulfreund.«
    Sein Blick trübt sich plötzlich. Er zwinkert einige Male.
    »Stefan? Siri?«, stammelt er und greift nach meinem Arm. »Es tut mir so leid. Komm, setzen wir uns«, sagt er und trottet zur Sitzgruppe aus weinrotem Leder. Die scheint im Vergleich zu den übrigen Möbeln gut in Schuss zu sein, und ich vermute, dass sie nur selten benutzt wird. Abermals wird mir ein Drink angeboten, und ich muss ablehnen.
    »Es tut mir leid. Ich war nicht bei der Beerdigung«, murmelt er.
    »Das macht doch nichts.«
    »Ich war krank. Ich hatte so hart an meiner Abhandlung gearbeitet. Es ging mir nicht gut.«
    Ich nicke. Er sieht wirklich krank aus.
    »Worüber hast du geschrieben?«, frage ich.
    »Ich schreibe«, korrigiert er. »Ich bin noch dabei. Ich bin Biologe. Forsche über Schleimpilze. Du weißt sicher nicht, was das ist?«
    Ich schüttele den Kopf.
    »Na, das weiß wohl niemand«, sagt er resigniert. »Schleimpilze sind eine eigene Gruppe von Organismen, weder Tiere, Gewächse noch Pilze.«
    Dann verstummt er, als rechne er mit weiteren Fragen meinerseits, aber ich bin nicht gekommen, um über seine Forschung zu reden, die vermutlich ohnehin seit Jahren zum Stillstand gekommen ist. Er sinkt in sich zusammen, seufzt tief.
    »Stefan war wirklich ein feiner Kerl.« Er schnieft und wischt sich mit dem Handrücken unter der geschwollenen Nase. »Er war so …« Er verstummt, steht auf und geht zum Bücherregal. »Warte, ich zeig’s dir.«
    Dann kommt er mit etwas zurück, das aussieht wie ein Fotoalbum, setzt sich neben mich, ein wenig zu dicht für meinen Geschmack. Wieder strömt mir der Geruch von Schweiß und ungewaschener Kopfhaut entgegen.
    Langsam blättert er im Album, lächelt über manche Bilder, schüttelt über andere den Kopf.
    »Hier. Das sind Stefan und ich.«
    Ich beuge mich vor. Betrachte die beiden Jungen in Jeans und pastellfarbenen Sweatshirts. So jung, so heil.
    Er zeigt auf ein anderes Bild.
    »Und hier sind wir alle zusammen. Ulrik, Anders, Stefan und ich. Wir haben auf Möja Mittsommer gefeiert. Haben im Zelt übernachtet. Genauer gesagt, war das Zelt voll Bier, deshalb hatten wir keinen Platz.«
    Er wird plötzlich ernst, verstummt, hält die Hand vor den Mund, wie um die Wörter am Herausströmen zu hindern.
    »Wir hatten das ganze Leben vor uns. Und jetzt sind nur noch zwei von uns übrig«, murmelt er und schnieft dann lauthals.
    »Ich habe ein paar Fragen an dich, geht das?«
    Er sieht mich mit leerem Blick an, als hätte er meine Anwesenheit vergessen.
    »Anders«, sage ich und zeige auf den blonden sommersprossigen Burschen auf dem Foto. »Was glaubst du, warum er ermordet worden ist?«
    Micke windet sich, als ob die Frage Feuer wäre.
    »Da hat sich doch jemand geirrt? War das nicht so? Das stand in der Zeitung.«
    »Was glaubst du?«
    Er zögert ein wenig.
    »Niemand hatte einen Grund, Anders umzubringen. Es muss ein Irrtum gewesen sein.«
    »Es gab eine Zeugin …«
    »Ach.«
    Er klingt gleichgültig. Streichelt Anders’ Bild mit dem Daumen und wiegt sich auf dem Sofa langsam vor und zurück.
    »Sie hat gesehen, wie Anders ermordet wurde.«
    Er gibt keine Antwort, lässt stattdessen den Daumen ein Bild weiterwandern. Streicht über alle: Stefan, Anders, Ulrik und Micke … Als zähle er die Jungs auf dem Foto, überprüfe, dass alle dabei sind.
    »Sie hat gehört, wie der Mörder etwas zu Anders gesagt hat.«
    Er schaut mich an. Ein leerer Blick.
    »Ach«, sagt er

Weitere Kostenlose Bücher