Bevor du stirbst: Roman (German Edition)
eine Rechnung schicken, wenn jemand einen Termin absagt. Durch ihre langsame, umständliche Art wirkt sie gelassen und pädagogisch, und ich denke, dass ihr Handicap sich in manchen Situationen wirklich nützlich macht.
Das Nächste formt sie lautlos mit dem Mund, was witzig ist, da an der Rezeption keine Klienten warten.
»Siri, Besuch für dich. Polizei.«
»Oh, sind die schon da?«
Marianne nickt düster.
»Sie sitzen in deinem Zimmer und trinken Kaffee.«
Ich danke ihr und laufe in mein Zimmer.
Ein Mann und eine Frau. Er ist groß, fast mager, hat schüttere Haare und stellt sich vor als Bengt Eriksson, Kriminalkommissar. Sein Händedruck ist so fest, dass ich zusammenzucke. Er lacht übers ganze Gesicht angesichts dieser Reaktion.
»Berufskrankheit«, sagt er und zwinkert mit einem Auge.
Die Frau ist jünger. Dunkel. Schön und durchtrainiert. Sie trägt Jeans und einen engen Wollpullover. Sie heißt Fatima. Wir begrüßen einander, und ich nehme an, dass sie mich angerufen hat, traue mich aber nicht zu fragen. Was soll ich denn sagen? Sie sind so schön, wie Ihre Stimme klingt? Oder, schlimmer noch, ich habe sofort gehört, dass Sie keine Schwedin sind?
Ich setze mich hinter meinen Schreibtisch, versuche es mit einem freundlichen Lächeln.
»Sie haben Anna Kantsow gekannt?«, fragt Fatima, zieht einen Notizblock hervor und setzt eine Brille auf.
Ich nicke langsam. Beschließe, alles von Anfang an zu erzählen und nichts auszulassen. Sie hören sich meine Darstellung der Umstände von Stefans Tod höflich an; wie ich Anders’ Todesanzeige gefunden habe und meine Suche in der Vergangenheit begonnen habe, um die Antwort auf die Frage zu finden, die mich seit so vielen Jahren quält: Warum ist Stefan gestorben?
Ich glaube, in Bengt Erikssons Blick Zweifel zu ahnen, als ich erkläre, was ich für möglich halte: dass Stefan auf irgendeine Weise mit Anders’ Tod zu tun hatte, dass er sich deshalb das Leben genommen hat. Ich erzähle von Stefans alter Freundschaft mit Anders, Mikael und Ulrik und dass ich mich mit Mikael und Ulrik getroffen habe. Ich sehe, wie die beiden Blicke tauschen und pflichtschuldigst Notizen machen.
Während unseres ganzen Gesprächs spüre ich ihre Zweifel, aber aus irgendeinem Grund bringt mich das nicht aus dem Gleichgewicht. Sollen sie doch glauben, was sie wollen, ich habe vor herauszufinden, was mit Stefan passiert ist. Ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nicht so entschlossen gefühlt. War noch nie so überzeugt davon, was ich tun muss.
»Ich sehe, dass Ihnen das weit hergeholt vorkommt«, sage ich gelassen. »Das kann ich verstehen. Es gibt oft wohl viel einfachere Erklärungen für einen Mord?«
Bengt Eriksson streicht sich mit der Hand über seinen kahlen Schädel, wie um sich davon zu überzeugen, dass seine wenigen verbliebenen Haare noch immer dort sind. Er nickt und lächelt abermals strahlend.
»Das allerdings. Die meisten Mordfälle haben keine son derlich ausgefeilte oder komplizierte Vorgeschichte. Auch wenn es durchaus schwierig sein kann, sie zu ermitteln. Wenn ich also ehrlich sein soll«, er zögert, »dann kommt Ihre Theorie mir nicht sehr wahrscheinlich vor. Was natürlich nicht ausschließt, dass etwas daran sein kann«, fügt er eilig hinzu.
»Was haben Sie übrigens an dem Abend gemacht, an dem Anna gestorben ist?«, fragt Fatima und erklärt ganz schnell, dass das nur eine Routinefrage ist und dass ich durchaus nicht unter Verdacht stehe. Ich erzähle, dass ich bei Markus und Erik zu Hause war, und füge hinzu, dass Markus, der selbst Polizist ist, das bezeugen kann. Abermals wechseln sie Blicke, aber diesmal sehen sie eher belustigt als skeptisch aus.
»Warum glauben Sie übrigens, dass sie ermordet wurde?«
Unfreiwillig fahre ich zusammen, denke daran, was Peter erzählt hat, dass die Feuerwehr ihren Leichnam aus dem Eis hacken musste. Und abermals ist dieses Bild da. Annas blaue Lippen, bedeckt von Eiskristallen.
»Zeugen auf einer vorüberfahrenden Fähre haben zwei Personen auf dem Eis gesehen. Und wir haben ihre Habseligkeiten über einen großen Bereich verstreut gefunden, was nicht zur Unfalltheorie oder zu einer Selbstmordszene passt. Außerdem«, sie lugt zu ihrem Kollegen hinüber und schweigt eine Weile. »Der Rechtsmediziner hat Verletzungen gefunden, die auf Gewalteinwirkung hinweisen.«
Ich nicke, spüre, wie die Übelkeit in mir aufsteigt. Der Kommissar räuspert sich und streckt die langen Beine aus. Kleine schmutzige
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