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Bevor ich sterbe

Bevor ich sterbe

Titel: Bevor ich sterbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Downham
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füllt mich aus wie ein stummer Schrei. Ich war jetzt schon so lange krank, aufgequollen und schwach, mit rauer Haut, rissigen Fingernägeln, Haarausfall und Übelkeiten bis auf die Knochen. Es ist nicht gerecht. Ich will nicht so sterben, bevor ich überhaupt richtig gelebt habe. Das kommt mir so einleuchtend vor. Ich schöpfe schon fast Hoffnung, was verrückt ist. Ich will leben, bevor ich sterbe. Nur das ergibt Sinn.
    Und da sehe ich das Zimmer wieder deutlich vor mir.
    Der Arzt redet jetzt von Medikamentenversuchen, die mir zwar wahrscheinlich kaum helfen würden, dafür aber vielleicht anderen Menschen. Dad weint immer noch lautlos vor sich hin, und ich schaue aus dem Fenster und frage mich, wieso es so früh dunkel wird. Wie spät ist es? Wie lange sitzen wir schon hier? Ich sehe auf meine Uhr – halb vier, und der Tag geht schon zu Ende. Es ist Oktober. All die vielen Schulkinder, die eben erst mit neuen Schulranzen und Federmäppchen in ihre Klassen zurückgekehrt sind, werden sich schon auf die Weihnachtsferien freuen. Wie schnell das geht. Bald Halloween, dann Feuerwerksnacht. Weihnachten. Frühling. Ostern. Und dann im Mai mein Geburtstag. Ich werde siebzehn.

    Wie lange kann ich es aufhalten? Ich weiß nicht. Ich weiß nur, dass ich mich zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden kann – in Decken gewickelt bleiben und mit dem Sterben vorankommen oder mir die Liste wieder vornehmen und mit dem Leben vorankommen.

ZEHN
    D ad sagt: »He, du bist aufgestanden!« Dann fällt ihm das Minikleid auf, das ich trage, und seine Lippen werden schmal. »Lass mich raten. Du triffst dich mit Zoey?«
    »Ja und?«
    Er schiebt mir meine Vitamine über den Küchentisch zu. »Vergiss die hier nicht.« Normalerweise bringt er sie auf einem Tablett rauf; die Mühe kann er sich heute sparen. Man könnte meinen, darüber würde er sich freuen, aber er sitzt bloß da und sieht mir zu, wie ich eine Pille nach der anderen schlucke.
    Vitamin E hilft dem Körper, sich von einer Postbestrahlungsanämie zu erholen. Vitamin A hilft gegen die Auswirkungen der Strahlentherapie auf den Verdauungstrakt. Ulmenrinde erneuert die Schleimhäute, die alle Hohlräume in meinem Körper auskleiden. Kieselsäure stärkt die Knochen. Kalium, Eisen und Kupfer bauen das Immunsystem auf. Aloe vera fördert generell Heilungsprozesse. Und Knoblauch – tja, Dad hat irgendwo gelesen, dass die Wirksamkeit von Knoblauch noch nicht hinlänglich erforscht ist. Er nennt ihn Vitamin X. Das alles runtergespült mit frischem Orangensaft und einem Teelöffel kalt geschleudertem Honig. Hm, lecker.
    Mit einem Lächeln schiebe ich das Tablett Richtung Dad zurück. Er steht auf, bringt es zur Spüle und stellt es scheppernd ab. »Ich hab gedacht«, sagt er, während er den Wasserhahn aufdreht und die Schale drunterhält, »du hättest gestern ein wenig unter Übelkeit und Schmerzen gelitten.«

    »Mir geht’s gut. Heute tut nichts weh.«
    »Meinst du nicht, es wäre klüger, dich auszuruhen?«
    Damit begeben wir uns auf gefährliches Gebiet, weshalb ich umgehend das Thema wechsle und meine Aufmerksamkeit Cal zuwende, der seine Cornflakes zu einem breiigen Haufen mantscht. Er schaut genauso mürrisch drein wie Dad.
    »Was habt ihr?«, frage ich.
    »Nichts.«
    »Es ist Samstag! Solltet ihr euch darüber nicht freuen?«
    Er wirft mir einen wütenden Blick zu. »Gib’s zu, du hast es vergessen!«
    »Was vergessen?«
    »Du hast gesagt, in diesen Herbstferien gehst du mit mir einkaufen. Mit deiner Kreditkarte, hast du gesagt.« Er kneift die Augen ganz fest zu. »Scheiße, ich hab’s gewusst, dass da nichts draus wird!«
    »Beruhig dich!«, sagt Dad mit der warnenden Stimme, die er immer hat, wenn Cal kurz vorm Durchdrehen ist.
    »Stimmt, hab ich gesagt, Cal, aber heute geht’s nicht.«
    Er funkelt mich zornig an. »Ich will aber!«
    Dann muss ich wohl, weil das die Regeln sind. Die Nummer zwei auf meiner Liste ist einfach. Ich muss einen ganzen Tag lang zu allem Ja sagen. Egal, was es ist und wer es von mir verlangt.
    Als wir durch das Törchen rausgehen, schaue ich auf Cals hoffnungsvolles Gesicht runter und spüre plötzlich einen Angstsog.
    »Ich simse Zoey an«, sage ich ihm. »Um ihr zu sagen, dass wir unterwegs sind.«
    Er verrät mir, dass er Zoey nicht leiden kann, was alles noch schwerer macht, denn ich brauche sie. Ihre Energie. Dass immer etwas passiert, wenn sie dabei ist.
    Cal sagt: »Ich will zum Spielplatz.«

    »Bist du dafür nicht ein bisschen zu

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