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Bevor ich verbrenne

Bevor ich verbrenne

Titel: Bevor ich verbrenne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaute Heivoll
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das sie heizen müssten. Im Stall mit dem Holz steht auch ein Fahrrad. Ich weiß es nicht mit Sicherheit, aber es ist möglicherweise Kåres Fahrrad. Er hatte ja Fahrradfahren gelernt.
    Sie sind dreiundsiebzig und dreiundachtzig Jahre alt und sollen ein neues Leben beginnen. Sie haben nur noch wenig, ein paar Tausender und ein altes Fahrrad. Das ist alles.
    Der Besuch bei Else und Alfred brachte mich zu Aasta. Ich wollte mehr über Johanna und Olav wissen, und über Kåre. Mit einem Mal erschien es mir wesentlich. Aasta war 1978 achtundvierzig Jahre alt gewesen, sie war die Schwägerin von Johanna Vatneli und somit die Tante von Kåre; und jetzt, über fünfzig Jahre nach seinem Tod, war sie eine der wenigen, die sich noch an ihn erinnern konnten.
    An einem der ersten Novemberabende brach ich zu Hause auf und ging den knappen Kilometer zu dem gelben Haus von Aasta. Sie kannte mich ja mein ganzes Leben, sie war eine von denen, die Mama besucht hatten, als sie noch in der Geburtsklinik an der Kongens gate lag und ich erst wenige Tage alt war.
    Wir saßen mehrere Stunden zusammen und unterhielten uns über den Brand und über den Pyromanen. Ich fragte nach Olav und Johanna. Und nach Kåre. Machte mir Notizen.
    Die Geschichte von Kåre ging folgendermaßen: Er hatte sich bei einem Sturz beim Skispringen eine Wunde am Wadenbein zugezogen, auf dem Slottebakken, dem Hügel mit dem guten Schanzentisch und der ungewöhnlich steilen Aufsprungbahn. Es ging direkt bergab. Mir ging durch den Kopf, dass mein Vater auch über den Slottebakken gesprochen hatte, er selbst ist dort viele Male gesprungen. Er war ja einer der Allerbesten, jedenfalls hat er das selbst gesagt, und es ist durchaus möglich, dass er an diesem Abend in den Fünfziger Jahren dort gewesen ist, als Kåre in die Dunkelheit hinausschrie, in die Hocke ging und sich abstieß.
    Kåre machte einen gewaltigen Satz und flog immer weiter bergab. Allen, die es sahen, stockte der Atem. Niemand war je so weit gesprungen. Er schwebte und schwebte, den Overall zog es nach hinten wie ein straff gespanntes Seil, alle hielten den Atem an, dann schlugen die Ski auf dem vereisten Auslauf auf. In diesem Moment brach an dem eiskalten Abend leiser Jubel aus. Er kam heil zu Boden, doch dann stürzte er. Es war kein hässlicher Sturz, aber es reichte, um ihn an diesem Abend aufhören zu lassen. Er blieb in einem Schneehaufen sitzen und fasste sich ans Bein.
    Am folgenden Tag erschien er nicht in der Schule. Es war ein Freitag. Bis Montag war es nicht besser geworden. Im Gegenteil, er bekam hohes Fieber. Einige Tage später fuhr Johanna ihn zum Arzt. Die Praxis lag in der Kurve, gleich gegenüber dem Haus von Knut Frigstad in Brandsvoll. Doktor Rosenvold, der von elf bis vier seine Sprechstunde hielt, hatte sanfte, aber ausweichende Augen, die man hinter den Brillengläsern nie richtig sah. Er stellte fest, dass Kåre sich eine Wunde zugezogen hatte, die nicht verheilen wollte. Ein klares, übelriechendes Sekret trat aus, aber vorläufig konnte man nichts tun außer abwarten und zusehen. Johanna schnitt Stoffstreifen, die sie in eine spezielle Essigmischung tunkte und auf die Wunde legte. Es hieß, es sei ein Knochenriss . Nach einiger Zeit stellte sich heraus, dass die Verletzung sehr viel ernster war, aber niemand traute sich, das Wort in den Mund zu nehmen. Kåre war vierzehn Jahre alt und sollte auf die weiterführende Schule, aber niemand brachte das Wort über die Lippen. Rosenvold kam zu Olav und Johanna nach Hause, in das weiße Haus direkt an der Straße. Es war Spätsommer und die Kirschbäume im Garten bogen sich vor roten Beeren, als das schwarze Auto zwischen dem Haus und der Scheune auf dem Hof hielt. Rosenvold ging ruhig die Treppe hinauf in die Kammer, in der der Junge im Bett lag. Er schloss die Tür und blieb lange im Zimmer. Als er wieder herauskam, blickten seine Augen besonders sanft, aber nicht mehr ganz so ausweichend.
    Einige Tage später wurde entschieden, das Bein zu amputieren, ein Stück über dem Knie. Dem linken. Man hatte zu lange gewartet.
    Also.
    Man nahm ihm das Bein ab , wie man so sagt, und einige Wochen später humpelte Kåre über den Hof, die Treppe hinauf in die Küche.
    Er musste lernen, mit Krücken zu gehen. Alles musste von Grund auf neu gelernt werden, und er verlor ein Jahr. Den Rest seines Lebens hatte er ein ganzes Jahr aufzuholen, und als hätte diese Verzögerung den Anstoß dafür gegeben, brachte er sich Dinge bei, die man nicht für

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