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Bevor mir der Tod die Augen schließt (Ein-Linnea-Kirkegaard-Krimi) (German Edition)

Bevor mir der Tod die Augen schließt (Ein-Linnea-Kirkegaard-Krimi) (German Edition)

Titel: Bevor mir der Tod die Augen schließt (Ein-Linnea-Kirkegaard-Krimi) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Vad Bruun , Benni Bødker
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genau, dass sie diese Sache allein durchstehen musste. Sie hatte sich schnell eingestehen müssen, dass es ihr schwerer fiel, als sie gedacht hätte, mit diesem gelebten Leben konfrontiert zu werden. Schon als Jugendliche hatte Linnea ihren Vater als einen Mann abgeschrieben, der Angst vor seinen Gefühlen hatte und nur dann Leidenschaft an den Tag legte, wenn es um seine eigene Karriere ging. In ihren bittersten Stunden hatte sie ihn und die Mutter verdächtigt, nur deshalb ein Kind bekommen zu haben, um den fehlenden Platz auf dem Hochglanzfamilienfoto auszufüllen. Aber das war okay. Linnea hatte sich mit dem Gedanken abgefunden und erklärte sich so auch ihr schwankendes Bedürfnis nach Nähe.
    Aber nun saß sie mit weinseligem Kopf auf dem kalten Fußboden und blätterte in den alten Schulheften des Vaters, die am Rand mit Kringeln und Kritzeleien versehen waren, und las seitenlange Briefe aus dem Ferienlager in Schönschrift an eine sehnsüchtig vermisste Mutter und weiter unten im Stapel kürzere, kecke Grüße von der ersten Auslandsreise nach Italien 1 964 . Sie merkte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen.
    »Verdammt noch mal, nein!«
    Linnea stand abrupt auf und hätte fast das Gleichgewicht verloren. Sie musste ihre Herangehensweise ändern. So wie jetzt konnte sie natürlich die nächsten drei Tage über eine neu entdeckte Seite an ihrem Vater heulen, die sie nie hatte kennenlernen dürfen – und darüber klagen, dass sie nur den anderen, steifen und korrekten Teil von ihm bekommen hatte. Sie musste systematisch vorgehen und die Sentimentalität und das Selbstmitleid beiseiteschieben, wenn sie zu einem Ergebnis kommen wollte. Sie ging in die Küche und holte eine Cola aus dem Kühlschrank. Dann tauschte sie Nikolaj Nørlunds tiefe Stimme gegen eine alte Earth, Wind & Fire-Platte aus und hoffte, dass ein bisschen Disco-Falsett für eine angemessen effektive Stimmung sorgen würde.
    Sie sortierte den Inhalt der Kisten grob nach fünf Kategorien: Schule, Arbeit, Fotos, Familie und Diverses. Die ersten beiden Stapel waren am kleinsten und wahrscheinlich auch irrelevant, so dass sie sofort wieder in der Kiste landeten. Die vielen Fotos konnten aber durchaus interessante Informationen enthalten, wenn sie an den richtigen Stellen suchte. Die Eltern hatten nur kurz in Frankreich gelebt, und aus den letzten zehn Jahren gab es so gut wie keine Bilder – wahrscheinlich einerseits, weil die Digitalkamera Einzug gehalten hatte, und andererseits, weil es in ihrem Leben nicht mehr viel gab, was zu verewigen sich lohnte. Linnea hatte ihnen ja schließlich kein Enkelkind geliefert, und ihre Eltern waren so weitgereist und blasiert, dass sie sich darüber erhaben fühlten, Urlaubsfotos zu machen. Aus diesem Grund stutzte Linnea über eine Bilderserie, die sie und ihren Vater sonnenverbrannt und lächelnd auf einem großen Segelboot zeigte. »Kalymnos 1981 «, stand in dem Album. Warum hatte sie diese Reise vollkommen vergessen?
    Ein Großteil der Bilder stammte aus den 1970 ern und 1980 ern, und die meisten waren ordentlich in Fotoalben eingeklebt, nummeriert und datiert. Die Reihe war komplett. Es versetzte Linnea einen kleinen Stich, als ihr auffiel, dass es nicht ein einziges Album über ihre Kindheit und Jugend gab, das die Mutter hatte behalten wollen. Um sich von dieser Erkenntnis abzulenken, konzentrierte Linnea sich stattdessen auf den kleineren Berg loser Fotos, die in Plastikhüllen oder Fototaschen steckten. Die eine Hälfte war beruflicher Natur, offizielle Arrangements, die von emsigen Diplomatenhausfrauen verewigt worden waren und damals wie heute gleichgültig erschienen. Die andere hingegen bestand größtenteils aus Bildern von Menschen, die Linnea nicht wiedererkannte.
    Sie nahm den Stapel, machte es sich auf dem Sofa bequem und blätterte wahllos in den Aufnahmen. Die meisten waren uninteressant. Der Vater, wie er den Arm um einen Tennispartner aus längst vergangenen Zeiten legte, ausgeblichene Schnappschüsse von Barbecues mit vielen lächelnden Menschen in Poloshirts und kurzen Shorts, und ganz unten drei Bilder vom Vater und einer jungen, dunkelhaarigen Frau mit einem geheimnisvollen Lächeln. Etwas an dem Blick ihres Vaters erregte Linneas Aufmerksamkeit, und ihr Puls beschleunigte sich. Die Bilder hatten eine andere Qualität als die übrigen, und sie stammten ganz offensichtlich nicht aus derselben Serie. Linnea drehte eins davon um. »August  1986 « war auf das Fotopapier gedruckt,

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