Bewegt Euch
Ziemlich oft. Das ist gut.
Der fünfte Weg führt über Belohnung. Wir belohnen mit Geld oder Wertsachen, mit Wertschätzung oder mit Aufstieg in gesellschaftlichen oder beruflichen Hierarchien. In Bruchteilen von Sekunden prüft eine innere Bewertungsmaschine den ganzen Tag lang, ob Aufwand und Belohnung in einem für uns günstigen Verhältnis stehen. Bekomme ich Geld fürs Bewegen? Leider nein, allenfalls eine lumpige Blechmedaille. Steige ich auf in irgendwelchen Hierarchien, darf ich Menschen herumkommandieren, wenn ich Yoga mache oder wandere? Eher nicht. Bleiben Anerkennung und Wertschätzung. Und beide motivieren ziemlich gut. Wer je auf einer Grillparty lässig von seinen sportlichen Aktivitäten berichtete, weiß um das gute Gefühl, wenn die Frauen bewundernd gucken und die Männer betreten. Wer sich bewegt, wird manchmal verlacht, aber häufig für tapfer befunden.
Wir fassen zusammen: Kann sein, dass in den Tiefen meines Unterbewusstseins die Lust am Bewegen lagert. Das ist gar nicht so unwahrscheinlich, denn Bewegen ist ein Urbedürfnis. Dazu später mehr. Oder aber mein innerer Belohnungsmesser hält die Bewunderung meiner Kollegen und Nachbarn für so sexy, dass ich mich auch unterhalb von 15 Grad aufs Fahrrad schwinge, um ins Büro zu fahren. Wer keinen dieser beiden Beweggründe in sich trägt, glaubt an den inneren Schweinehund und an die Macht der Vernunft, die das Untier schon kleinkriegen werden.
Leider: Vernunft wird überbewertet. Der sicherste Weg, einem Kind ein Lebensmittel zu vermiesen, ist das elterliche Vernunft-Argument: »Das ist gesund.« Mit dieser Begründung wurden Generationen von Brokkoli-Hassern, Salat-Allergikern und Sauna-Muffeln herangezogen. Gesund, also vernünftig, ist vieles, und es wird immer mehr. Fischöl ist gesund. Massai-Schuhe sind gesund. Pezzi-Bälle sind gesund. Atmen ist gesund. Jeden Tag lesen wir, was gerade besonders gesund ist.
Warum bewegen wir uns dann trotzdem nicht genug? Weil die Vernunft ohnmächtig ist. Bis unser Gehirn eine Information aufgenommen, verarbeitet und bewertet hat, schwappen längst Lusthormone in unseren Blutbahnen. Während der Mensch angestrengt denkt, hat die Emotion bereits entschieden.
Machen wir einen Test: Wir denken an den Begriff »Bergwandern«. Sofort entsteht ein Bild im Kopf. Die eine sieht Sonne, Wiesen, Butterbrot und würde am liebsten sofort aufbrechen. Die andere verspürt spontan Frösteln und Wadenkrampf. Wir scannen zwar akribisch die Argumente (gute Luft, Lawinengefahr etc.), aber die dienen vor allem dazu, die emotional getroffene Entscheidung hinterher zu rationalisieren. Wer Bergwandern mag, wird die gute Luft heranziehen, wer nicht will, fürchtet Lawinen. Übersetzt in unseren Alltag heißt das: Ich sollte mich eigentlich mal wieder bewegen. Aber leider muss ich noch die Mails beantworten. Oder allgemeiner: Ich habe keine Lust, weil mir die Belohnungen nicht ausreichend erscheinen.
Diesen Kampf von Lust gegen Vernunft illustrieren wir mit der anschaulichen Schlacht: Ich gegen den Schweinehund. Aber der Schweinehund sind wir selbst. Wir brauchen nur ein eingängiges Bild, um unser schlechtes Gewissen zu delegieren. Richtig ist: Wer dauerhaft keine Lust verspürt, den wird kein Arzt, kein Partner, kein Lebenshilfebuch dauerhaft mobilisieren können. Die Emotion, in diesem Fall Unlust, nimmt sich die Vernunft als Geisel.
Und so tobt dieser innere Dialog, der mich schon ganze Wochenenden beschäftigt hat: Eigentlich sollte ich … Aber ich muss doch noch … Immer und immer wieder. Der Graben zwischen einer gefühlten Bringschuld und dem eigenen Widerstand wird unweigerlich immer breiter. Es entsteht eine Selbstentzweiung, die innere Spaltung in einen fordernden und einen verweigernden Part. Zuverlässiges Ergebnis sind schlechtes Gewissen, Resignation, Verzweiflung – ein aussichtsloser Kampf.
Wenn Professor Roth recht hat, dann gibt es Bewegungspersönlichkeiten, und es gibt die anderen. Und aus denen macht auch die Peitsche keine Waldläufer. Was für Bewegungssüchtige wie für Bewegungsmuffel bedeutet: das Anderssein akzeptieren und Bekehrungsversuche einstellen.
Um den ruinösen Kampf zwischen Vernunft und Gefühl zu entspannen, hilft ein Blick zurück in die Steinzeit. Denn schuld an diesem anstrengenden Duell ohne Sieger ist nicht unsere Schwäche, sondern die zottelige Verwandtschaft. Unsere Gene sind weitgehend identisch mit denen der Jäger und Sammler. Die Frage, ob sie laufen wollten oder
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