Beweislast
ständig hier in der Gegend.« Der Chefermittler stützte sich auf den Armlehnen seines Bürostuhls ab. »Wenn Sie zwanzig Baustellen fotografieren, haben Sie vermutlich auf mindestens zehn Bildern ein Projekt von ›Pottstett-Bau‹ drauf.«
Linkohr war die Enttäuschung anzusehen. Seine Stimme verlor den engagierten Klang. »Dann reißt es Sie vermutlich auch nicht vom Sitz, dass ›Pottstett-Bau‹ den neuen Kuhmilchstall vom Steinberghof gebaut hat.«
Häberle holte tief Luft. Er wollte den Tatendrang des jungen Kollegen nicht noch mehr zerstören. »Wenn mich etwas nicht gleich vom Sitz reißt«, griff er deshalb die Formulierung Linkohrs auf, »dann bedeutet das nicht, dass diese Erkenntnisse keine Bedeutung haben.«
Speckinger grinste. Jaja, die jungen Leute, dachte er. Wie er selbst so alt war wie Linkohr heute, da hatte er auf ähnliche Weise auf Anerkennung gehofft. Doch die damaligen Chefs waren autoritäre Säcke gewesen, die einen Kerl wie ihn oftmals ignoriert hatten.
Linkohr begann erneut, in seinem Wust von Papieren einen weiteren Notizzettel herauszufischen. »Dann wird euch auch das nicht sonderlich interessieren«, machte er enttäuscht weiter, »… die Kontakte Grauers zu dieser Institution nach Ulm.«
»Lassen Sie hören!«, forderte ihn Häberle auf.
»Naja – es war ja diese …« Linkohr wühlte sich durch seine Aufzeichnungen. »… diese Finanzkontrolle Schwarzarbeit beim Hauptzollamt Ulm.«
Das war nicht neu, dachte Häberle, ließ sich aber seine Ungeduld nicht anmerken.
»Ich hab diese Nummer angerufen, die in Grauers Telefonspeicher abgelegt war. Es ist die Zentrale, also keine Durchwahlnummer …« Der Jungkriminalist blickte seine Kollegen an. »Ich hab mich zu einem Sachbearbeiter durchgefragt, dem der Name Grauer ein Begriff ist. Er kann sich entsinnen, dass sein Kollege einige Male mit einem Mann mit diesem Namen telefoniert hat. Nur«, Linkohr steckte einige seiner Blätter in die Klarsichthülle zurück, »diesen Kollegen gibts nicht mehr.« Er tat so, als hätte ihn diese Feststellung nicht sonderlich berührt.
»Den gibts nicht mehr?«, hakte Häberle nach und war damit in Linkohrs Falle getappt. Der hatte es geschickt verstanden, die Aufmerksamkeit zu wecken – ganz genau so, wie dies Häberle in solchen Situationen tun konnte. Linkohr war ein gelehriger Schüler, keine Frage.
»Ja, den gibts nicht mehr«, erklärte Linkohr mit eindeutig gespielter Gleichgültigkeit. »Er ist tot.«
45
Das Projekt war trotz des Winters termingerecht fertig gestellt worden. Simon Eckert hatte sich am Vorabend von seinen Arbeitern verabschiedet. Ob sie sich jemals wieder auf einer neuen Baustelle begegnen würden, konnte in so einem großen Unternehmen niemand sagen. Auf Eckert wartete eine geplante Umgehungsstraße irgendwo auf der Albhochfläche. Er packte an diesem ersten lauen Märzvormittag seine letzten Utensilien zusammen und warf immer mal wieder einen stolzen Blick auf den großen Schweinestall, in dem nächste Woche die Ferkelaufzucht beginnen konnte. Die Sonne erwärmte das Tal, in dem nichts mehr an die winterlichen Nebel erinnerte, die wochenlang die Bauarbeiten begleitet hatten. Jetzt war Frühling – ein Tag wie aus einem Bilderbuch.
Eckert packte die letzten Aktenordner in den Kofferraum seines gelben Polos, inspizierte noch einmal den leer geräumten Bürocontainer und besah sich auch die rückwärtige Außenwand, die nach dem Brandanschlag notdürftig repariert worden war. Vermutlich würden sie den Container ausmustern, dachte Eckert. Für heute Nachmittag war der Tieflader bestellt, der ihn in den Betriebshof zurückbringen sollte.
Der Bauleiter hatte die Hände tief in seine Cordhose gesteckt und seine buschigen Augenbrauen verengt. Er ließ seinen Blick an den sonnigen Hängen entlangstreifen, hinauf zum Steinberghof, der sich unterhalb der Waldgrenze in die Wiesen schmiegte, und hinüber zur entgegengesetzten Richtung, zum Erlenhof. Er musste an den Toten denken, der vor einem Vierteljahr vor dem Bürocontainer gelegen war, an die Kriminalisten und an die verfeindeten Landwirte. Alles würde er jetzt zurücklassen. Alles. Doch ganz würde er es nicht vergessen können. Denn er hatte eine Einladung bekommen – als Zeuge zu dem Mordprozess vor der Schwurgerichtskammer in Ulm. Er wusste zwar nicht, was er zur Aufklärung des Falles beigetragen hatte, aber vermutlich wollten die Richter von ihm einfach eine Schilderung der Geländesituation hören. Bei
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