Beweislast
feucht-kalte Luftströmung mit sich und sorgte dafür, dass der Nebel auch an diesem Sonntagmittag zäh über der Stadt liegen blieb. Ketschmar und seine Frau hatten ihren Golf bei der Donauhalle in der Au abgestellt und gingen eine Weile wortlos durch die Parkanlage zum Flussufer hinüber. Dort folgten sie der Donau stromaufwärts in Richtung Innenstadt. Nur wenige Spaziergänger hatten sich in die Novemberkälte hinausgewagt, gelegentlich auch ein Radfahrer. Der Weg war feucht und mit Laub bedeckt.
»Hat dir Manuel helfen können?«, durchbrach Monika das nervende Schweigen.
Gerhard nahm seine Ehefrau bei der Hand. »Er ist Jurist«, sagte er, »und für Juristen zählen nur Fakten.«
Sie wusste nicht, was diese Bemerkung bedeuten sollte. Doch Gerhard schien nicht bereit zu sein, sie zu kommentieren. »Und«, Monika wollte nicht aufdringlich erscheinen, »was meint er?«
»Er will mit mir zur Polizei gehen.« Ketschmar blieb stehen, sah seiner Frau in die Augen und wiederholte leise und zweifelnd: »Zur Polizei gehen.«
Sie blickte irritiert zu ihm auf: »Nur, weil du dort vorbeigefahren bist? Ich mein, das ist doch kein Grund, um zur Polizei zu gehen. Da sind um diese Zeit am Freitagabend wahrscheinlich Dutzende vorbeigefahren.«
»Aber vermutlich keiner, der diesen Grauer gekannt hat.« Sein Gesicht verriet Angst und Verzweiflung. »Und schon gar keiner, der noch mittags mit ihm Streit gehabt hat.« Er atmete schwer und schloss für einen Moment die Augen, als ein junges Paar an ihnen vorüberging. »Und keiner, der mit einer lädierten Stoßstange heimgekommen ist.«
Monika spürte, wie er zitterte. Sie umarmte ihn. »Aber du hast doch damit nichts zu tun«, flüsterte sie und vermied es, dies wie eine Frage klingen zu lassen. Er sagte nichts.
»Außerdem gehts ja wirklich nur um ein paar Kratzer«, munterte sie ihn auf und drückte ihn an sich.
»Manuel meint zwar, ein Sachverständiger soll den Schaden begutachten, weil man feststellen könne, wie er zustande gekommen sei – aber weißt du, wenn die dich erst mal in der Mangel haben …«
Sie gingen weiter und sahen vor sich das Hotel Maritim in den Hochnebel ragen.
»Aber vielleicht hat Manuel doch recht. Es macht einen besseren Eindruck, wenn du hingehst und erklärst, wie es war.«
»Warum denn? Vielleicht hab ich gestern gar keine Zeitung gelesen. Woher soll ich denn wissen, was am Freitagabend da draußen geschehen ist?« Es klang, als ob er sich diese spontane Ausrede bereits für alle Fälle zurechtgelegt hatte. Womöglich, so dachte er, waren sie schon hinter ihm her. Ihm fiel das nicht abgehörte Gespräch auf dem Anrufbeantworter ein, das während ihres gestrigen Spaziergangs zur Hürbelsbacher Kapelle eingegangen sein musste. Zum Glück war seine Handynummer nicht im Telefonbuch verzeichnet.
Nach weiteren langen Minuten des Schweigens, während derer sie den Enten und Schwänen am Ufer zuschauten, unternahm Monika einen neuerlichen Versuch, ihren Ehemann aufzuheitern. »Du hast dir nichts vorzuwerfen. Du sagst doch selbst, wenn du keine Zeitung gelesen hättest, würdest du von nichts was wissen.« Sie stellte sich ihm in den Weg. »Dann tun wir jetzt einfach so, als hätten wir keine Zeitung gelesen. Kein Mensch kann dir deshalb einen Vorwurf machen.«
»Ich würde mir wünschen, dass es so wär.«
Wir tun so, als hätten wir keine Zeitung gelesen. Klar. Ein Versteckspiel. Hatte er das nötig? Sie würden ihn trotzdem holen. Dieser Staat, dem er ein ganzes Leben lang Steuern bezahlt hatte, der würde sich gegen ihn wenden. Man würde ihm einen Strick drehen. Wie man es oft in den Zeitungen lesen konnte. Einmal zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen – und die Juristen fanden ein Indiz nach dem anderen. Dazu vielleicht schludrige Ermittlungsarbeit, Vetterleswirtschaft – eine verwechselte Blutprobe. Mein Gott, dachte er, es gab tausend Möglichkeiten, sich im Netz der Ermittlungsbehörden zu verfangen. Erst neulich hatte er von dem bemitleidenswerten Mann gelesen, der verurteilt worden war, weil er angeblich seine Frau hatte umbringen wollen. Die ist seit dem Mordanschlag schwer behindert und hatte dem Gericht nicht mehr berichten können, wie es wirklich war. Dass in dieser ganzen Geschichte Polizeibeamte ermittelt haben, die selbst in irgendeiner Weise in die Sache involviert waren, hatte niemanden stutzig gemacht. Jahrelang hatte der Verurteilte um sein Recht gekämpft – und schließlich im seltenen
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