Bewusstlos
Was war als Erstes aus dem Ofen herausgefallen?
Sie wusste es beim besten Willen nicht mehr.
Es war zum Verzweifeln, und es war verdammt schwer, die hart verkrusteten Kleidungsstücke in dem kleinen Ofen unterzubringen. Wenn man es eilig hatte, klappte nichts.
Lilo hatte das Gefühl, es ginge um Leben und Tod.
Als endlich alles hineingestopft war, rappelte sie sich hoch, riss die Tür auf und stürzte auf den Flur. Schwer atmend und schweißnass.
In dieser Sekunde schloss Raffael die Wohnungstür auf.
»Was ist denn mit dir los?«, fragte er sofort, als er Lilo auf wackligen Beinen und so blass im Flur stehen sah, als habe sie vor wenigen Minuten einen Herzinfarkt erlitten. »Geht es dir nicht gut?«
»Doch, doch«, krächzte sie, und es klang wenig überzeugend. »Ich habe nur gerade die Post geholt und bin wohl ein bisschen zu schnell gelaufen. Hier.« Sie hielt ihm den Brief hin. »Für dich.«
»Danke.« Ohne ihm in irgendeiner Form Beachtung zu schenken, nahm er den Brief an sich, fasste Lilo an der Schulter und drehte sie zu sich herum, sodass er ihr direkt ins Gesicht sehen konnte. In ihren Augen stand nackte Angst. »Ist wirklich nichts mit dir? Du siehst aus, als ob du drei Stunden gekotzt hättest.«
Lilo lächelte gequält. »Mir ist heute schon den ganzen Tag ein bisschen schwindlig, aber das ist nichts Besonderes. Mach dir keine Sorgen.«
»Du, ich hab’s verdammt eilig«, sagte Raffael und wechselte abrupt das Thema, »die im Theater brauchen diese Scheißbohrmaschine, die ich mir ausgeborgt hatte. Sie wollen sie sofort wiederhaben, warten da jetzt auf mich und machen einen ungeheuren Terz. Einfach grauenvoll. Aber bevor ich wieder losdonnere, will ich dir noch schnell das Regal in der Küche anbringen.«
»Aber das ist doch nicht so wichtig! Ich will nicht, dass du Ärger kriegst. Nimm die Maschine und hau ab!«
Raffael hatte sich schon gedacht, dass sie so etwas sagen würde. Ohne weiteren Kommentar stürzte er in die Küche, nahm die Bohrmaschine aus der Speisekammer, schmiss sie auf den Küchentisch, holte aus der Kammer im Flur Werkzeugkiste und Gewürzregal und machte sich an die Arbeit.
Lilo reichte ihm, was er brauchte.
Er arbeitete wie ein Irrer und hatte das Regal nach acht Minuten an der Wand. Im Rausrennen nahm er noch den schweren Werkzeugkasten mit, stieß ihn in die Kammer und lief mit der Bohrmaschine in der Hand aus der Wohnung. Hinter ihm fiel die Wohnungstür krachend ins Schloss.
In seinem Zimmer war er gar nicht gewesen.
12
Am nächsten Tag hatte Raffael frei.
Gegen vierzehn Uhr wurde er langsam wach, döste immer wieder für ein paar Minuten ein, dämmerte so vor sich hin und war erst um halb drei in der Lage zu denken.
Sein erster Gedanke war neuerdings: Was war gestern? Wie bist du ins Bett gekommen?
Bilder schossen durch seinen Kopf und wirbelten durcheinander wie ein zerrissenes Foto im Sturm. Dann drehte sich alles.
Denk nach, zwang er sich. Denk nach!
Und ganz allmählich kam die Erinnerung zurück. Als ob sich Nebelschleier auflösen und aus dem Nichts wieder ein Landschaftsbild entsteht.
Nichts hatte er gestern getan. Er hatte sich nach dem Theater an der Tankstelle noch ein Sixpack geholt und war gleich nach Hause gegangen.
In der Wohnung war alles still gewesen, Lilo hatte schon geschlafen.
In der Küche lag ein Brett mit zwei geschmierten Broten, eins mit Wurst, eins mit Käse, daneben eine Gewürzgurke, zwei Tomaten und eine kleine Flasche Bier.
Auf einen gelben Klebezettel hatte sie mit ihrer zittrigen Handschrift Lass es Dir schmecken. Lilo geschrieben.
Er nahm das Brett mit den Broten mit in sein Zimmer.
Dann hatte er sich noch einen Film angesehen. Aber er konnte sich jetzt nicht mehr daran erinnern, wovon der Film gehandelt hatte.
Als das Sixpack alle war, zog er sich aus und ging ins Bett.
So war das.
Und wenn ihn nicht alles täuschte, hatte er noch nicht einmal etwas geträumt.
An diesem Morgen, oder besser, an diesem Nachmittag hatte Raffael Appetit auf Toast. Mit Marmelade und Honig. Es war nicht sein Toastbrot, das im Küchenschrank lag, aber das tat wahrscheinlich nichts zur Sache, und er toastete sich einige Scheiben. Lilo stellte ihm so viele ihrer Lebensmittel zur Verfügung, da kam es auf ein paar Weißbrotscheiben sicher nicht an. Sie hatte sich auch noch nie beschwert, wenn er sich aus ihren Kühlschrankfächern bedient hatte.
Die Kaffeemaschine blubberte.
Er stand am Fenster und sah hinaus. Das Wetter war herrlich,
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