Bezaubernde Spionin
hinter ihren Fingern. »Mittlerweile weiß bestimmt schon der ganze Hof, dass ich … dass wir … in diesem Erker! Mein Gott, ich ertrage es nicht!« Sie ließ die Hände sinken. »Verstehst du jetzt, warum ich hier weg will?«
Juliet nickte, musste sich aber auf die Lippen beißen, um nicht zu lächeln. Sie sah, wie Nanette Luft holte, warf ihrer Vertrauten jedoch einen warnenden Blick zu. Jetzt nur keine amüsante Bemerkung oder der Versuch, den Vorfall herunterzuspielen. Dann würde Aylinn entweder explodieren oder zusammenbrechen. Und beides konnten sie sich im Augenblick nicht leisten.
Aylinn hatte den Blick ebenfalls bemerkt und fuhr zu Nanette herum. »Was?«, fauchte sie die Hofdame an, die unwillkürlich zusammenzuckte. »Was wolltet Ihr sagen?«
Nanette schluckte. »Mit Verlaub, Durchlaucht …«, begann sie und senkte rasch den Blick, als sie Aylinns vor Wut und Scham lodernden Blick auf sich spürte. »Ich …«
»Was? Nun redet schon!«, fuhr Aylinn sie an. »Ich habe doch recht, oder? Der Hof zerreißt sich sicherlich schon das Maul über diese dumme Herzogin, die sich von diesem … diesem …«
»Ich glaube«, sprang Juliet ihrer Vertrauten rasch zu Hilfe, »Nanette wurde zufällig Zeugin …«
»Was?« Aylinn funkelte die Hofdame wütend an. »Ihr habt gelauscht? Ihr habt …?«
»Nein, Durchlaucht, natürlich nicht. Ich habe nicht gehört, was in dieser Erkernische passiert ist«, versicherte Nanette ihr schnell. Und nicht ganz wahrheitsgemäß. »Ich bin Euch nur gefolgt, sicherheitshalber …« Sie verstummte, als sie Aylinns wütenden Blick bemerkte. » … aber ich habe Euch aus den Augen verloren und bin dann …«, sie schluckte und senkte den Blick. Diese Lügerei wurde langsam zur Gewohnheit. Sie schielte unter ihren Wimpern zu Juliet hinüber, die sie vielsagend ansah und mit ihrem Blick drängte weiterzusprechen. » … wieder umgekehrt.«
Das zumindest stimmte, wenn auch nur zum Teil und schon gar nicht in der zeitlichen Abfolge, die ihre Worte suggerierten. Sie war Aylinn gefolgt, und zwar, weil sie genau gewusst hatte, wie Aylinn es auch vermutet hatte, dass die Herzogin keineswegs zu Juliet gehen wollte. Sie hatte geahnt, dass sie Sir Rupert zur Rede stellen wollte, und war deshalb auf schnellstem Weg zu Sir Ruperts Gemach geeilt, um sich bereitzuhalten, für den Notfall. Man wusste ja nie, was geschah, wenn sich zwei Liebende denn das waren Sir Rupert von Atholl und Lady Aylinn Herzogin von Albany, wenn Nanette jemals zwei Menschen getroffen hatte, die sich liebten, genauso leidenschaftlich liebten, wie ihre Vertraute Juliet und ihr Connor McPherson sich geliebt und auch gezankt hatten, oh ja. Jedenfalls wusste man nie, was passierte, wenn also zwei Liebende aufeinandertrafen, die sich zerstritten hatten und doch voller Leidenschaft zugetan waren. Da war alles möglich, das jedenfalls hatte Nanette gedacht und war ihrer Herrin also über die Dienstbotengänge gefolgt.
Sie hatte nicht schlecht gestaunt, als sie vor Sir Ruperts Gemach angekommen war.
»Und?« Aylinn sah immer noch ergrimmt, aber nun etwas ratlos von Nanette zu ihrer Freundin Juliet. »Das ist alles? Ihr seid mir gefolgt und dann wieder umgekehrt?«
»Ja, nachdem ich Euch aus den Augen verloren hatte.« Das stimmte ebenfalls. »Und dann bin ich an Sir Ruperts Gemach vorbeigekommen«, in gewisser Weise stimmte auch das. Nanette atmete auf, als ihr bewusst wurde, dass ihre unsterbliche Seele vielleicht doch nicht der ewigen Verdammnis anheimfiel, weil sie so viel log. Denn all das war gar nicht gelogen. Sie veränderte halt nur ein wenig die Reihenfolge, ließ das eine oder andere Detail aus, zum Beispiel, dass sie … Sie sah Aylinns ungeduldigen Blick und spürte Juliets Blicke, die sich wie Dolche in ihre Flanke bohrten und sie aufforderten, endlich weiterzusprechen.
»Also ich kam an Sir Ruperts Gemach vorbei, aus dem in diesem Moment Sir Archibald trat. Er …«
»Was?« Aylinn starrte die Hofdame ungläubig an. »Diese englische Schlange hat zuerst Sir Archibald verführt, bevor sie sich an Rup… ich meine, an den Lordkämmerer herangemacht …?«
»Nein, Mylady, natürlich nicht!«, erwiderte Nanette hastig.
»Aber nein, Aylinn«, mischte sich auch Juliet ein. »Sie hat ihn natürlich nicht …«
»Woher weißt du das?«, fauchte Aylinn und wirbelte zu ihrer Freundin herum. »Ihr ist alles zuzutrauen.« Es war sehr wohltuend, den Zorn, den sie auf Sir Rupert für seine Untreue und Schamlosigkeit
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