Bezaubernde Spionin
und auf sich für ihre Dummheit und, wie sie zugeben musste, ebenso große Schamlosigkeit empfand, sich nun ein anderes Opfer suchen zu lassen. Und da sie weder ihrer Freundin Juliet McPherson noch der guten Nanette wirklich begründet böse sein konnte, blieb eigentlich nur Lady Georgina Harrington übrig, die englische Gesandte und Schlange, die allerdings auch ein prachtvolles Ziel für Aylinns Wut darstellte.
»Aber Sir Archibald nicht«, meinte Nanette glucksend. »Ich glaube, ihn hat fast der Schlag getroffen, als die Engländerin so halbnackt und verführe… schamlos«, verbesserte sich Nanette schnell, als sie Aylinns Miene sah, »vor ihm auftauchte.«
»Sie ist vor ihm aufgetaucht?« Aylinn wirkte einen Moment verwirrt. »Aber sie hat doch in Ru… im Gemach des Lordkämmerers auf ihn gewartet.«
»Das will dir Nanette ja klarmachen, Aylinn.« Juliet seufzte und stand auf. »Wie es aussieht, hat Sir Archibald in Sir Ruperts Gemach gewartet. Deshalb wollte Sir Rupert nicht, dass du es betrittst.«
Aylinn starrte ihre Freundin ungläubig an und ließ sich auf die kleine, gepolsterte Bank neben dem Tischchen mit dem Pokal sinken. Sie griff danach und trank einen Schluck, weil ihr Mund plötzlich vollkommen trocken geworden war. Konnte es sein, dass sie Rupert Unrecht getan hatte? Sie schüttelte den Kopf. Unmöglich! Sie hatte doch gesehen, wie Lady Georgina sich auf dem Bett gerekelt und auf ihn gewartet hatte. Sie hatte ihn sogar recht vertraut begrüßt, vertraut und schamlos, wenn sie sich recht entsann.
»Aber Lady Harrington …«
Nanette spitzte die Lippen. »Ich denke, sie hatte vor, Sir Rupert zu verführen, das ist gewiss.« Die Hofdame hütete sich anzufügen, was sie dachte, nämlich dass es schon eines Heiligen bedurft hätte, um den Reizen dieser Dame zu widerstehen. Sie hatte hinter einem kleinen Mauervorsprung versteckt gesehen, wie Sir Archibald aus dem Zimmer getreten war, nachdem Georgina an die Tür geklopft hatte. Der alte Lordkanzler, der für seine strengen Moralvorstellung und seine unverbrüchliche Treue zu seiner Lady Hether bekannt war, hatte fast einen Herzinfarkt bekommen, als er die englische Gesandte in ihrem mehr als lasziven Aufzug gesehen hatte, und es hatte einige Sekunden gedauert, bis er seinen Blick von dem Dekolleté und dem hauchdünnen Rock der Lady losreißen konnte, unter dem sich im Licht der Fackeln ihre Beine und Hüften abgezeichnet hatten. Nanette hatte gesehen, dass Lady Harrington trotz ihrer Zusage an Sir Archibald, dass sie in der Bibliothek auf Sir Rupert warten würde, in sein Gemach geschlüpft war, sobald Sir Archibald hinter einer Biegung verschwunden war. Und Nanette wusste nicht, ob Sir Rupert wirklich dieser geballten Versuchung hätte widerstehen können. Allerdings … und auch das hütete sie sich zuzugeben … als sie sich sofort auf den Weg in Juliets Gemächer gemacht hatte, für den Fall, dass Aylinn tatsächlich zuerst dorthin gegangen wäre, war sie an einer gewissen Erkernische vorbeigekommen. Und was sie dort gehört hatte, ließ sie vermuten, dass Sir Rupert ganz offenkundig andere Reize denen von Lady Harrington vorzog.
Und nach den weiblichen hingebungsvollen Lauten, die ebenfalls kaum zu überhören gewesen waren, hatte die Dame, deren Reize er genossen hatte, ebenfalls keinen Grund gehabt, sich zu beschweren.
Umso erstaunter war Nanette über die Szene gewesen, die sie dann in Sir Ruperts Gemach erwartete, nachdem sie zu Juliet gelaufen war, um sie zu holen, weil sie Ungemach geahnt hatte. Allerdings hätte sie eher damit gerechnet, dass die beiden Frauen aufeinander losgingen, als dass Aylinn Sir Rupert die Schuld an diesem Vorfall gab.
»Aber ganz offensichtlich ist es ja nicht dazu gekommen«, mischte sich Juliet ein. »Und zwar …«
»Und zwar«, fiel ihr Aylinn ins Wort, die sich von ihrer Erstarrung erholt hatte, »weil er mir zufällig über den Weg gelaufen ist, bevor diese Schlange ihre Krallen in ihn schlagen konnte.« Sie hob trotzig den Kopf. Sie musste zugeben, dass die Erklärung der beiden Frauen logisch klang, aber das erklärte noch lange nicht Sir Ruperts halbnackten Aufzug, als sie ihm im Gang begegnet war. Und wohin hatte er überhaupt gewollt?
»Die Frage ist doch, Aylinn«, Juliet schien ihre Gedanken lesen zu können, »wohin er eigentlich gewollt hatte, denkst du nicht auch?«
Aylinn öffnete den Mund, um eine schlagfertige Antwort zu geben, aber ihr fiel keine ein. Konnte es tatsächlich sein, dass
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