Bezaubernde Spionin
Aber sie nickte Nanette zu, die in einen vollendeten Hofknicks versank. Nur Aylinn sah, wie ihre Freundin und Vertraute, denn das war Nanette nach dieser dreitägigen Schiffsreise für sie geworden, die Augen verdrehte, bevor sie sich mit einer respektvollen Miene auf ihrem Gesicht wieder aufrichtete und sich zu den anderen Hofdamen gesellte, die in er Nähe des Podestes standen und hinter vorgehaltenen Fächern tuschelten, während sie ihr hochmütig entgegensahen.
Das hier würde nicht leicht werden, das war Aylinn klar, aber sie hatte es schon gewusst, bevor sie überhaupt nach London aufgebrochen war. Allerdings war seit ihrem Entschluss, als Gesandte und Spionin für den König und Schottland am englischen Hof zu wirken, so vieles geschehen, dass sie ihre Entscheidung jetzt zutiefst bereute. Vor allem seit dieser Schiffsreise und ihren langen Unterhaltungen mit Nanette und … sie schluckte, als sie an den eigentlichen Grund für ihre Entscheidung dachte, nach England zu gehen.
Ein Grund mit blauen Augen, einem sinnlichen, wunderbaren Mund und … Sie unterdrückte den Gedanken an die anderen, ebenfalls wundervollen und aufregenden Körperteile, mit denen Sir Rupert von Atholl sie immer wieder an den Rand des Wahnsinns getrieben hatte. Sie warf Richard von York einen kurzen Seitenblick zu und bemerkte, dass er sie immer noch scharf musterte.
Wie hatte sie nur glauben können, dass Rupert ein ebenso gewissenloser und rücksichtsloser Mann war wie zum Beispiel dieser Richard von York, unter dessen kaltem, lüsternem Blick sie unwillkürlich erschauerte, was er, seinem Grinsen nach zu urteilen, offenbar missverstand.
Oder wie hatte sie auch nur eine Sekunde annehmen können, dass Rupert ebenso berechnend und machtgierig war wie ihr »lieber Onkel« John Bedford. Sie musterte den englischen Regenten. Er hielt ihre Hand immer noch in seiner, als er sie jetzt zu dem Stuhl geleitete und sie mit einer kleinen Verbeugung darauf platzierte.
Nein, sie hatte einen Fehler gemacht, einen verzeihlichen Fehler, gewiss, als sie Sir Rupert keine Chance gegeben hatte, dieses »Missverständnis« mit der englischen Gesandten zu klären. Sie schluckte leicht, als ihr erneut bei diesem Gedanken ein schmerzlicher Stich durchs Herz zuckte, diesmal jedoch aus einem ganz anderen Grund als damals, als sie Lady Harrington in Ruperts Bett gesehen hatte, und schloss kurz die Augen. Sie erinnerte sich an Ruperts verwirrte und zutiefst entsetzte Miene, als sie ihn einfach hatte stehen lassen und aus seinem Gemach gerauscht war.
Aber sie hatte nur daran denken können, dass er sie getäuscht und benutzt hatte, er, der Mann, an den sie das ganze letzte Jahr beinahe täglich hatte denken müssen, nach dem sie sich trotz aller Widrigkeiten verzehrt hatte. Und dem sie sich, als sie sich dann wiedersahen, mit einer Bedingungslosigkeit und Leidenschaft erneut hingegeben hatte, die, das vermochte sie sich jetzt, wo es fast zu spät schien, einzugestehen, aus ihrer tiefen und aufrichtigen Liebe zu ihm entsprungen war. Die gleichzeitig der Grund für ihr unvernünftiges Verhalten gewesen war.
Sie war gekränkt und verletzt gewesen, getroffen bis ins Mark, aber sie hatte vor Enttäuschung und Schmerz nicht klar denken können.
So viel wenigstens wusste sie jetzt. Nanette und sie hatten auf dem Schiff ausführlich darüber gesprochen, und Nanette hatte ihr klargemacht, dass sie, Aylinn, offenbar ebenso auf die List dieser englischen Schlange hereingefallen war wie Sir Rupert. Aber woher hätte sie ahnen sollen, dass Rupert sie nicht hatte daran hindern wollen, Georgina Harrington in seinem Bett zu sehen, sondern dass er nur um ihren Ruf bedacht gewesen war, weil er vermutet hatte, dass sich Sir Archibald noch in seinen Gemächern aufhielt?
Aylinn errötete, als sie sich an Nanettes amüsiertes Lächeln erinnerte, mit dem ihr die Hofdame versichert hatte, dass sie an jenem Abend nach ihrem … Erlebnis in der Erkernische wie eine Sonne gestrahlt und aus jeder Pore Liebe und Leidenschaft ausgestrahlt hätte. Sie hatte, laut Nanettes Worten, wie eine Frau ausgesehen, die lange, genüsslich und leidenschaftlich geliebt worden war, und Aylinn musste zugeben, dass sie sich auch genauso gefühlt hatte.
Und jetzt wusste sie auch, dass ihr Gefühl sie eben nicht getrogen hatte, wie sie es an jenem Abend geglaubt und was ihr fast den Boden unter den Füßen weggezogen hatte.
Sir Rupert liebte sie, daran hegte sie jetzt keinen Zweifel mehr. Aylinn hob
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