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Beziehungswaise Roman

Beziehungswaise Roman

Titel: Beziehungswaise Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Birbaek
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es geht, selbst Spaß haben. O.k., und das Glück haben, dass das Publikum wach ist. Der Rest ist ... Tagesform? Zufall? Glück? Eines Tages finde ich es heraus und kassiere den Künstlertopf. Bis dahin bleibt die Nervosität, die wieder da ist, weil es mir endlich nicht mehr egal ist, wie mein Text gleich da draußen ankommen wird.
    Als BH rausgeht und ihre Anmoderation startet und das Publikum erst die Pointe abwartet, bevor es ein Tsunamilachen abliefert, atmen alle hinter dem Vorhang erleichtert auf. Es wird ein guter Abend. Ab da warten wir gut gelaunt. Man macht sich gegenseitig Mut, und irgendwie ist es, zumindest zwischen denen, die nicht in Bielefeld geboren sind, eine kollegiale Komm-wir-rocken-die-Hütte-Stimmung.Beide Berliner Frauen sind kostümiert. Eine hat sich auf Dracula gestylt. Während sie auf ihren Einsatz wartet, kommentiert sie alles mit diesem transsilvanischen Akzent. Sie bringt sogar Nina zum Lachen. Sauwitzig. Und meine Geheimfavoritin – BH moderiert sie als Draculina an. Sie geht raus und mischt den Laden mit Vampiralltagssorgen auf: nachts Heimflug mit betrunkener Navigation, Blutstürze, Zahnarztbesuche, Singleleben, Zahnkondome, nie zum Frühstück bleiben ... Sie endet mit dem klassischen Abgang, Nebelmaschine, ins Cape hüllen, Licht aus, Donner vom Band, Licht an, niemand mehr da. Der Laden steht. So einen Abgang muss ich mir auch mal zulegen. Vielleicht kann ich ja nachher ein paar Leute beschimpfen, dann stellt Rich mir den Strom ab ...
    BH moderiert die zweite Berliner Frau an, die sich professionell auf Madonna geschminkt hat. Sie war früher Maskenbildnerin beim Film und hat in den Pausen immer herumgeblödelt, da kam ihr die Idee, Comedy in Maske zu machen. Und das Outfit ist super, fast bitte ich sie um ein Autogramm. Doch dann geht sie raus und bringt eine nicht so lustige Geschichte. Das Publikum lacht freundlich, weil ’s eben ein freundlicher Abend ist. Sie kommt geknickt wieder rein. Schade. Aber beruhigend. Außerhalb vom Karneval braucht man dann wohl doch eine Geschichte. Und ich habe eine.
    Nach ihr ist einer der Berliner Jungs dran. Er ist gut. Seine Gags kommen unaufgeregt auf den Punkt, er bewegt sich lässig, und seine Stimme ist nicht mal beim ersten Satz von Nervosität gefärbt. Er ist mir eine Spur zu routiniert, aber vielleicht spricht da auch bloß der Neid. Jedenfalls honoriert das Publikum seine – Überraschung! – Mann-Frau-Geschichte mit großem Applaus.
    Als BH dann den lustigen Dänen ankündigt, machen mir alle Mut, Nina nickt aufmunternd, der UFZ knallt die Hacken.Mein Puls schießt in die Höhe. Ich gehe raus, stelle mich ganz vorne an den Bühnenrand, kontrolliere Stimme, Körper und erzähle die Geschichte von Far, als er beschloss, den Jungen, der mich in der Schule ständig verprügelte, pädagogisch wertvoll zu »mannopolieren«. Der Text arbeitet nicht auf Gagdichte. Die Dramaturgie ist eher auf breites Lächeln angelegt als auf klare Lacher, und ich bemühe mich um eine sparsame Performance, um nichts kaputtzumachen. Schon nach wenigen Sätzen merke ich, dass ich besser ganz still stehe, weil jede Bewegung unnötig Textraum einnimmt, also stecke ich die Hände in die Hosentaschen und erzähle, wie Søren mir die Brille kaputtschlug, woraufhin Far bei seinem Optiker eine Tüte alter Brillengestelle kaufte. Ab sofort zerbeulten wir jedes Mal, wenn Søren mich verprügelte, eins davon mit einem Hammer und stellten es seinem Vater in Rechnung. Søren war verwirrt: Da nahm er mir extra vorher die Brille ab und legte sie beiseite, und dennoch tauchte mein Vater jeden Abend bei seinem Vater mit einem kaputten Gestell auf. Nach vier Brillen hörte Søren nicht nur auf, mich zu verprügeln, nein, ich konnte es ihm sogar unbehelligt heimzahlen, weil er mittlerweile kapiert hatte, dass es sich einfach nicht lohnte, sich mit mir anzulegen.
    Während ich dastehe und erzähle, wird der Saal ganz ruhig. Ich schaue manchmal zu Tess runter, die mich anlächelt. Frauke vergisst sogar zu rauchen, während sie zuhört, und Arne, na ja, wie immer. Hinter dem Vorhang hören die Kollegen zu. Eine ruhige, konzentrierte Stille breitet sich im Saal aus, und ich sehe nur lächelnde Gesichter. Es ist ein schöner, großartiger Augenblick, auf den ich lange gewartet habe, statt ihn mir zu erarbeiten. Ja. Die letzten Jahre habe ich mit Hadern und Abwarten verbracht. Der Erfolg hat mich faul gemacht. Selbstgefällig. Arrogant. Und das brachte mir die furchtbare

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