Beziehungswaise Roman
neben mir sitzt wie ein stillgelegtes Fabrikgelände. Ich versuche den Augenblick bewusst zu genießen. Ich sitze mit meinen Freunden in einem Auto. Ich hatte soeben einen Auftritt vor Leuten, die weder kostümiert noch im Koma waren. Und zwar mit einem guten Text. Und ich bin Clemens los. Und Tess war da. Mehr kann man nicht verlangen, oder? Eigentlich nicht. Eigentlich.
Nach dem vierten Klingeln geht Sune ran und gähnt in den Hörer. Far geht es gut. Er schläft. Heute Nachmittag war er fit. Er hat bis eben noch herumgeblödelt, bloß Hunger hatte er nicht. Sie schaut fern mit Ebba, sie wollten gerade ins Bett gehen. Wie es bei mir gelaufen ist? Gut? Gut. Sie vermissen mich. Ich vermisse sie. Aber wir sehen uns ja schon morgen wieder.
Ich lege erleichtert auf. Was ist es nur, dass wir uns immer Sorgen machen? Jedem anderen Gefühl mit einer solch miserablen Trefferquote hätten wir längst die Glaubwürdigkeit entzogen. Bangemachen gilt nicht? Scheinbar doch.
Das Telefon klingelt. Mein erster Impuls ist Freude, denn um die Uhrzeit rufen nur Sune oder Tess an. Doch Sune hatte ich schon, und Tess sitzt in der Halle.
»Die Halle.«
»Mann, scheiße, was ist los?!«
Es rauscht in der Leitung, als stünde der Anrufer im Windkanal.
» Stan?«
»Ja, verdammt! Ich hab schon hundertmal angerufen! Wo treibst du dich denn rum?«
Ich werfe einen Blick zur hektisch blinkenden Digitalanzeige des Anrufbeantworters.
»Ist ja auch egal«, fährt er fort, »jetzt bist du wieder da, und das ist gut, denn am Wochenende wird gerockt!«
Ich blinzele.
»Du kommst her?«
Er lacht hämisch.
»Schon Wahnsinn, wie deine Synapsen Zusammenhänge herstellen. Ja, wir kommen auf Hochzeitsreise. Geil, oder? Andere fahren nach Mauritius und vögeln sich wund, wir fliegen im Winter nach Deutschland.«
»Das ist schön, aber ich bin nicht da.«
»Wo bist du denn?«
»Ich fliege morgen wieder nach Kopenhagen. Meinem Vater geht’s nicht gut. Aber ihr könnt mein Zimmer haben, wenn ihr wollt.«
»Was ist mit deinem Dad?«
»Krebs.«
Kurze Pause. Der Wind nimmt ab und zu.
»Soll ich früher kommen? Ich könnte mich heute Abend in einen Flieger setzen, dann bin ich morgen da.«
Etwas Warmes breitet sich in mir aus.
»Danke, geht schon. Ich sag den anderen, dass du kommst. Jemand holt euch ab. Fühlt euch wie zu Hause.«
Er gibt mir die Daten durch, wünscht mir viel Glück, sagt, ich bräuchte bloß anzurufen, dann käme er, egal wohin. Dann legen wir auf, und ich sitze da. Verdammt, er würde seine Flitterwochen opfern, um bei mir zu sein. Ich sitze da und genieße das Gefühl, nicht allein zu sein. Ich habe Freunde. Wie konnte ich das so lange vergessen? Rich hat recht: Was haben die da draußen auf dem Boot bloß mit mir gemacht? Zeit, einiges zurückzuzahlen.
Alle haben sich auf den Couchen ausgebreitet, bis auf Nina, die in der Hängematte schwingt. Fehlen nur noch ein paar Sklaven, die ihnen Luft zufächeln, aber dafür haben sie ja mich. Ich unterbinde Arnes Versuch, uns kulturell zu misshandeln, lege Musik mit verschiedenen Tonarten auf, fülle die Chipsschale und leere den Aschenbecher. Frauke bastelt an einem monströsen Entspannungsrohr, während sie zuhört, wie Tess und Nina sich über Künstlerlügen nach Auftritten unterhalten. Derweil zerlegt Arne Aliens auf der Playstation. Ich gehe in den Hof und wühle hinter den alten Fahrrädern nach der letzten versteckten Flasche Champagner. Irgendwo maunzt die Katze, lässt sich aber nicht blicken. Unser Verhältnis entwickelt sich.
Ich erwische die Flasche, komme aber nur mit den Fingerspitzen ran. Wenigstens ist sie schön kalt. Winter ist ein super Kühlschrank. Vielleicht kann man da was machen. Kühlschränke, die an die Außentemperatur gekoppelt sind – sich bei Bedarf abschalten und Luft von draußen holen. Könnte uns Atomkraftwerke sparen. Und das könnte uns atomare Endlager, verseuchtes Trinkwasser, Allergien und Krebs ersparen. Muss ich gleich Arne erzählen, vielleicht werden wir dann wieder Freunde, obwohl er sich meinetwegen Comedy anschauen musste.
Die Flasche ist festgeklemmt. Bevor ich hier noch erfriere, ruckele ich ein paar eiskalte Farbeimer beiseite und ziehe die Flasche heraus. Während ich vornübergebeugt dastehe,rieche ich es: den typischen Gestank von Tierfutter. Und schon sehe ich ihn. Der Napf steht in einer Ecke hinter Arnes Zeug. Die verdammte Katze ist also nicht immer hinter das Gerümpel geflüchtet, sondern einfach was essen
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