Beziehungswaise Roman
besser sehen kann.
»Ich bin’s«, sage ich und streichele seine Hand.
Er drückt sie schwach.
»Ge...won...n?«
Jede Silbe schwer wie ein Sandsack.
Ich schüttele den Kopf.
»Aber viel Spaß gehabt.«
Seine rechte Wange zuckt.
»Ein ... muss ja.«
Ich setze ein Lächeln auf, das von ebenso weit herkommt wie seines. Es ist das erste Mal, dass ich einen Anflug von Selbstmitleid bei ihm höre.
»Ich ... mag nicht ... mehr«, sagt er stockend.
Ich versuche meinen Schock zu verbergen. Er senkt mühsam den Kopf und schaut zu seiner Hand, die neben der Fernbedienung liegt. Er greift schwer nach dem Schalter und fährt das Kopfteil etwas hoch. Er leckt sich mehrmals über die Lippen und schaut zum Wasserglas auf dem Nachttisch. Ich reiche es ihm, halte es zur Sicherheit fest. Er nimmt es mir ab und trinkt einen Schluck. Noch einen. Dann schaut er zu mir hoch.
»Ist das Wasser?«
Ich nehme das Glas, probiere und nicke.
»Abgestanden. Soll ich dir frisches holen? Oder etwas mit Geschmack? Ich könnte ein bisschen Saft reingeben.«
»Ja«, sagt er und schließt die Augen.
»O.k. Warte hier.«
Er lacht nicht. Ich gehe in die Küche, wo Ebba und Sune plaudernd das Mittagessen vorbereiten.
»Haben wir Saft?«
»Ich habe O-Saft und Limonade gekauft«, sagt Sune. Ebba schüttelt den Kopf.
»Du musst es verdünnen, pur verträgt er es nicht.« »Kein kaltes Wasser«, sagt Sune.
Ich gebe ein paar Tropfen Himbeerextrakt ins Glas und fülle mit lauwarmem Wasser auf. Ebba beobachtet mich. »Nimm’s nicht so schwer, er hat einen schlechten Tag.«
»Er ist so dünn.«
Sie nickt.
»Er hat aufgehört zu essen.«
»Er will nicht mehr«, sagt Sune und schaut aus dem Fenster, die Hände jetzt regungslos.
Auf dem Rückweg ins Schlafzimmer versuche ich diesen Funken Hoffnung zu ersticken, der sich in meiner Abwesenheit eingeschlichen hat. Was hat die verdammte Hoffnung bloß für ein Problem? Jederzeit bereit, die Fakten zu ignorieren.
Far nimmt einen kleinen Schluck, verzieht das Gesicht wie ein inhalierender Nichtraucher. »Pfui Deibel.« Er reicht mir das Glas zurück, fährt das Kopfende noch ein bisschen höher und wirkt tatsächlich frischer. »Wie lief es?«
»Die Geschichte kam gut an. Alle mochten sie, na ja, alle bis auf meinen Agenten. Ich habe gekündigt.«
Er mustert mich.
»War das schlau?«
Ich stelle endlich das Glas auf den Nachttisch.
»Fühlt sich gut an.«
»Dann war es schlau«, sagt er und fährt das Bett wieder ein Stück runter. »Krieg ich jetzt Tanten?«
Ich brauche einen Augenblick.
»Du meinst Tantiemen?«
Er winkt ab.
»Ach was soll’s, behalt sie, du erbst eh bald. Lange dauert es nicht mehr. Einem Hund hätte man längst eine Spritze gegeben.«
Er unterdrückt einen Husten und reibt seine linke Hand, dann schließt er die Augen, sein Mund öffnet sich, und er schläft auf der Stelle ein. Ich sitze da, bis ich Sunes Hand auf meiner Schulter spüre.
Wir decken gerade den Mittagstisch, als es an der Tür klingelt. Ich gehe aufmachen. Eine ältere Frau steht vor der Tür. Seltsame Frisur, seltsamer Mantel, seltsam aufgemalte Augenbrauen, wie in den Filmen aus den Sechzigern. Als sie mich sieht, schaut sie mich mit großen Augen an, sagt Oh, fasst sich an die Brust und tritt einen Schritt zurück. Ich trete einen Schritt vor und bekomme ihren Mantel zu fassen, bevor sie die Treppe hinunterpurzelt. Wenig später sitzt sie mit einem Cognac in einem Sessel und hat sich weit genug erholt, um mir ihr strahlend weißes Gebiss zu zeigen.
»Meine Güte, siehst du ihm ähnlich.«
»Wir sind ja auch verwandt.«
Sie schaut mich verständnislos an.
»Er ist doch dein Vater.«
»Richtig.«
Ich werfe Sune einen Blick zu. Sie mustert angestrengt die Decke. Ebba gießt noch einen Cognac ein. Tante Gitte nimmt ihn ein wie Medizin: runterkippen, angewidert schütteln, erleichtert seufzen, besser fühlen. Tante Gitte, die ihrenMann nach der Gesichtsoperation fragte, ob er mit dem Glasauge besser sehen könne. Tante Gitte, deren Stimme nur eine Tonhöhe kennt, weil Onkel Torben zum Schluss das Kehlkopfmikrofon benutzte und sie sich angewöhnte, so zu reden wie er. Tante Gitte, die nie ein Buch gelesen hat, aber Sartre-Fan ist, weil er Gauloises rauchte. Tante Gitte, deren Auto bei jedem Hubbel wie ein Altglascontainer klang. Tante Gitte, die sich für die Reise in die Großstadt in Schale geworfen hat. Da sitzt sie, klein, gebeugt, verrunzelt, in einem fünfzig Jahre alten Kleid, das nach
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