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Beziehungswaise Roman

Beziehungswaise Roman

Titel: Beziehungswaise Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Birbaek
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schwerer Schlaganfälle, von denen der Patient sich nicht mehr oder nur teilweise erholt.« Sie schaut uns nacheinander an. »Bei einem Schlaganfall entscheiden die ersten Minuten über die Schwere der Folgeschäden. Je länger wir hier herumstehen, desto weniger Chancen hat er, vollständig zu genesen.«
    Sune drängelt sich näher ans Bett. Sie hat ihren Tunnelblickdrauf, doch die Notärztin ignoriert sie, sie hat schon ganz andere Dinge erlebt. Stattdessen widmet sie Ebba wieder ihre Aufmerksamkeit.
    »Er bleibt bei uns«, sagt Ebba.
    Die Notärztin hakt Ebba ab und wendet sich an den Letzten im Bunde, den verantwortungsvollen Sohn. Sie nickt mir zu und versucht es noch mal.
    »Der nächste Schlag ist erfahrungsgemäß heftiger. Man kann aber präventiv einiges machen, darum empfehle ich euch dringend, ihn für eine Zusatzdiagnostik ins Krankenhaus zu bringen.«
    »Nein«, sagt Ebba.
    »Nein«, sagt Sune.
    Die Notärztin wendet ihren Blick keine Sekunde von mir ab.
    »Ich verstehe das sehr gut, niemand will gern ins Krankenhaus. Aber falls wir nicht sofort mittels Dopplersonographie die Durchblutung der Arterien befunden, den Blutdruck überwachen und eine Kernspin ...«
    »Nein«, sage ich.
    Sie verstummt, schaut noch mal in die Runde und seufzt. Ebba tritt neben das Bett, sie setzt sich auf ihren Sessel, schaut auf Far herunter und streichelt seine Hand. Ihre Augen füllen sich mit Tränen. Draußen öffnet sich die Wohnungstür. Ole kommt hereingehetzt, eine schwarze Arzttasche in der Hand. Er wirft einen Blick auf Far und nickt dann der Notärztin zu.
    »Hej, Marianne.«
    »Ole. Dein Patient hatte einen Schlaganfall. Er muss ins Krankenhaus.«
    »Nein«, sagen Sune und Ebba im Chor.
    Ole wirft Far einen weiteren Blick zu, dann nimmt er den Arm der Notärztin, um sie beiseitezuziehen. Sie schüttelt den Kopf und befreit ihren Arm.
    »Nein, diesmal nicht, Ole. Du weißt, dass die ersten Minuten entscheidend sind.«
    »Entscheidend? Wofür?«, höhnt er. »Schau dir doch mal dein Krankenhaus an. Würdest du lieber da drin liegen oder zu Hause bei deiner Familie?«
    »Er hatte einen Schlaganfall, und während wir hier stehen ...«
    »Brauchen viele andere deine Hilfe«, unterbricht Ole sie. Sie starren sich an und führen ein Zwiegespräch, von dem wir Außenstehenden nichts erfahren. Schließlich seufzt sie wieder.
    »Wartet bittet draußen«, sagt Ole zu uns und reißt das Fenster auf. »Du bitte auch, Ebba.«
     
    Wir warten. Draußen. Mal wieder vor dieser Tür. Sogar jetzt, in dieser Situation, funktioniert Ebba. Die Sanitäter bekommen Käffchen. Wir helfen ihr. Jede Minute so lang wie ein Leben. Verdammte Angst, verdammte Hoffnung. Ich weiß nicht, was schlimmer ist.
    Ein Lichtjahr später öffnet sich die Tür. Die Notärztin kommt heraus, nickt uns zu und geht zur Wohnungstür, wo sie neben den Sanitätern stehen bleibt und an ihrer Tasche herummacht. Ebba eilt ins Schlafzimmer. Sune und ich folgen. Fars Gesicht ist immer noch so unglaublich verzerrt. Ole erklärt uns ruhig, dass Far einen Schlaganfall hatte und die Notärztin recht hat – in solchen Augenblicken entscheide die Schnelligkeit über Folgeschäden. Falls wir also das Risiko senken wollten, dass er ein Pflegefall werde, müsse er sofort ins Krankenhaus.
    Wir schütteln alle den Kopf. Ebba setzt sich wieder ans Bett, nimmt seine Hand und erklärt ihm, was passiert ist. Wir ziehen uns mit Ole zurück. Im Flur wirft er der Notärztin einen Blick zu. Sie schaut ihn resigniert an, öffnet die Türund verschwindet mit den Sanitätern. Ole wirft einen Blick ins Esszimmer auf den ungedeckten Kaffeetisch.
    »Wird er wieder gesund?«, platzt Sune hervor.
    Ich bin nicht der einzige Spinner hier. Ole schaut uns mitfühlend an.
    »Die Folgen können innerhalb eines Tages zurückgehen, doch je nachdem, wie stark der Anfall war, kann es auch ein paar Tage dauern.« Er schaut uns an, um sicherzugehen, dass wir zuhören. »Oder die Folgen gehen gar nicht zurück.« Er nickt. »Wahrscheinlich eher nicht.«
    Sune fängt sich als Erste.
    »Und ... wie geht es jetzt weiter?«
    Zum ersten Mal sehe ich Ole unentschlossen. Er neigt seinen Kopf leicht zur Seite.
    »Man kann erst mal nur abwarten.«
    Sune ballt die Fäuste.
    »Können wir gar nichts tun?«
    Er schaut sie überrascht an.
    »Doch, natürlich, ihr könnt ihn ins Krankenhaus bringen. Das wäre das Sicherste. Aber das will er nicht, und so tut ihr schon das Beste, was ihr tun könnt. Er ist zu Hause.« Er

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