Bianca Arztroman Band 0031
keinen Zweifel: Es entlastete Kate vollständig. Er hätte sich darüber freuen können, aber er kam sich nur entsetzlich albern vor. Er war so eine Situation nicht gewöhnt … und auch nicht ohne Weiteres bereit, sie zu akzeptieren.
“Na gut”, knurrte Ethan und zog eine Schublade seines Schreibtischs auf. “Da wir gerade so schön dabei sind, Dinge zu klären, haben Sie ja vielleicht auch dafür eine Erklärung.” Damit knallte er einen Stapel Mappen und Broschüren auf die Tischplatte. Kate blieb der Mund offen stehen. Es waren Broschüren und Prospekte von verschiedenen Designerschulen. Jodie musste sie angefordert haben, um sich nach den Kursen zu erkundigen, die angeboten wurden.
“Wo haben Sie das her?”, fragte Kate ruhig.
“Ich habe mich gewundert, dass in letzter Zeit so viele dicke Umschläge für meine Tochter hier ankommen …”
“Sie haben in Jodies Post geschnüffelt?”, schnitt sie ihm unverblümt das Wort ab. Eine leichte Röte stieg in ihre Wangen.
“Ich habe die Pflicht, mich um Jodie zu kümmern und alles von ihr fern zu halten, was ihr schaden könnte.”
“Und das heißt Ihrer Meinung nach auch, dass Sie ihre Post öffnen dürfen?” Jetzt war Kate an der Reihe, sich aufzuregen.
“Sie ist immerhin mein Kind!”
“Ethan, sie ist kein Kind mehr. Sie wird fünfzehn. Sie kümmert sich um ihre Zukunft. Sie möchte auf eine Designerschule gehen, weil sie Talent hat …”
“Wie zum Teufel soll sie denn auf eine Designerschule gehen?”, widersprach Ethan ungeduldig und stützte sich mit den Händen auf den Schreibtisch. “Sie kennen ihren Zustand doch selbst. Wie soll sie denn da alleine zurechtkommen?”
“Warum sollte sie nicht allein zurechtkommen?”, entgegnete Kate prompt. “Sie kommt ja auch mit ihrer Physiotherapie schon ganz gut alleine …”
“Sie tut …
was
?” Ethans Worte kamen wie ein Peitschenhieb. Kate verstummte und wurde abwechselnd rot und blass. Jetzt war es heraus.
“Es ist nicht das geringste Risiko dabei”, fasste sich Kate langsam wieder. “Sie macht es unter meiner Anleitung.”
“Sie werden hier nicht dafür bezahlt, Jodie anzuleiten, sondern sie zu behandeln”, fuhr Ethan sie an. “Das und nichts anderes steht in Ihrem Arbeitsvertrag. Und alles, was darüber hinausgeht, habe allein ich zu entscheiden!”
“Und Jodie spielt dabei wohl gar keine Rolle?”, sagte Kate mehr zu sich selbst. Aber Ethan hatte es gehört.
“Was, zum Teufel, bilden Sie sich ein, wer Sie sind?”, schnaubte er. “Sie kommen hier angetanzt und meinen, weil Sie vielleicht ein paar Bücher gelesen haben, Sie hätten die Weisheit mit Löffeln gefressen und könnten machen, was Sie wollen. Wir reden über
meine
Tochter …”
“Das weiß ich …”
“Gar nichts wissen Sie!” Seine Lippen waren ein dünner Strich. “Alle Ihre Bücherweisheiten können Sie vergessen. Sie haben nämlich keine Ahnung, was es bedeutet, einen Menschen zu sehen, den man liebt, von dem man aber nicht weiß, ob es ihn morgen oder nächste Woche oder den nächsten Monat noch geben wird.”
“Ethan!”
“Ihr ganzes Krankenschwester-Latein lehrt Sie nicht, einen Menschen leiden zu sehen, den Sie lieben. Das muss man schon selbst am eigenen Leibe erlebt haben.” Ethans Augen sahen sie kalt und hart an.
Das alles habe ich mehr als genug erlebt, dachte Kate, diese Mischung aus Blut und Urin habe ich heute noch in der Nase. Wie er um sein letztes bisschen Leben gekämpft hat. Und ich wusste genau, dass der Kampf längst verloren war … Ich hätte alles darum gegeben, das nicht erleben zu müssen.
“Ethan, bitte … bitte hören Sie auf” sagte sie.
Aber er hörte nicht auf. Seine Vorhaltungen prasselten weiter auf sie herab. Sie konnte ihm nicht mehr zuhören. Sie hatte nur noch diesen einen Wunsch, er möge endlich aufhören. Aufhören, in ihr Erinnerungen wachzurufen, die sie mühsam verdrängt hatte. Sie hielt es nicht mehr aus. Ohne zu überlegen griff sie eine Vase vom Schreibtisch, trat einen Schritt auf den verdutzten Ethan zu, entleerte ihren Inhalt samt Blumen über seinem Kopf. Ethan verstummte augenblicklich.
“Halten Sie endlich den Mund!”, schrie sie ihn an. “Halten Sie die Klappe! Mein Mann ist vor zwei Jahren elendiglich an Leukämie gestorben. Ich habe ihn sein letztes Jahr hindurch zu Hause gepflegt und ihn vierundzwanzig Stunden am Tag Stück für Stück sterben sehen, Tag für Tag. Sie brauchen mir nichts zu erzählen. Und wagen Sie es ja nicht, mir
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