Bianca Exklusiv Band 243
nie mehr tragen wollte, seitdem sie Kontaktlinsen hatte.
„Hast du Probleme mit den Augen?“, fragte Annabelle besorgt und hoffte nur, dass Lia nicht die Kontaktlinsen verloren hatte, da es sehr teuer werden würde, neue zu kaufen.
„Nein. Aber ich finde, ich sehe so professioneller aus.“ Lia warf einen Blick in den Ordner, den sie mitgebracht hatte. „Und ist dir auch bewusst, dass wir viel Geld sparen könnten, wenn wir Blumen aus Plastik im Garten hätten?“
Blumen aus Plastik im Garten!
„Ich werde mal darüber nachdenken.“ Annabelle schaute wieder hinaus. Die Nacht war inzwischen angebrochen. „Wenn du schon nicht zu Lloyd’s gehen willst, wie wäre es dann mit einem kleinen Spaziergang am Strand?“, schlug sie vor.
Lia sah ihre Schwester streng an. „Ich denke, es gibt hier so viel zu tun, dass wirklich nicht die Zeit ist, an das eigene Vergnügen zu denken.“ Genauso hätte Annabelle noch vor Kurzem gesprochen.
„Schade, dass man gar keine Musik mehr im Haus hört. Wann spielst du mal wieder Klavier?“
„Es gibt jetzt Wichtigeres zu tun.“
„Wenn du schon nicht ausgehen willst, Lia“, erklärte Annabelle bestimmt, „dann solltest du dich ans Klavier setzen und üben. Die Tischdecken und Plastikblumen können warten. Du beginnst in einem Monat mit der Schule, und bis dahin solltest du fleißig arbeiten. Das ist wichtig, nicht diese Geldprobleme.“ Annabelle atmete tief durch. Jetzt war es an der Zeit, die Angelegenheit mit Lia zu klären.
„Spätestens in zwei Wochen musst du das Anmeldeformular abschicken, sonst nützt es überhaupt nichts, dass du die Prüfung bestanden hast.“
Das Mädchen zuckte mit den Schultern.
Annabelle musterte ihre Schwester. Gab es da nicht das geringste Zeichen, dass sie vielleicht doch noch ihren Traum verwirklichen wollte? Es war einfach unmöglich, dass Lia alles fallen ließ.
Niemals zuvor, nicht einmal, als das Scheitern ihrer Verlobung in der Zeitung breitgetreten worden war, hatte Annabelle sich schlechter gefühlt. Sie hatte das Gefühl, dass sie ihrer Aufgabe nicht gewachsen war. Und das war für sie das Schlimmste, was ihr passieren konnte.
Sie wollte Lia unbedingt die gleiche Ausbildung verschaffen, die sie gehabt hätte, wenn ihre Eltern noch leben würden.
„Das ist ja ein schöner Reinfall“, versuchte Annabelle es mit Witz, nachdem nichts anderes geholfen hatte. „Ich hatte fest damit gerechnet, dass du eine bekannte Pianistin werden würdest. Nach der Veröffentlichung deiner ersten Schallplatte wollte ich mich aus dem Geschäft zurückziehen und endlich in Ruhe leben. Aber das wird ja nun wohl nichts.“
Lia lächelte sie schief an.
„Das ist ja wohl nicht sehr realistisch, oder? Und außerdem habe ich mich entschieden. Daran gibt es nichts mehr zu rütteln.“ Entschlossen stand das Mädchen auf. „Ich werde dich hier mit den Problemen nicht allein lassen, das habe ich dir schon oft gesagt.“ Und damit war für Lia die Diskussion beendet. „Jetzt werde ich mich um die Ausgaben für Lebensmittel kümmern. Mir scheint, dass MrRaefield ein wenig zu teuer ist.“
Lia schob die Brille hoch und verließ das Zimmer.
Annabelle vergrub das Gesicht in den Händen. Sie hätte am liebsten geweint, doch dazu war sie viel zu angespannt.
Vor Jahren hatte sie alles geplant. Sie wollte hart arbeiten, ein Geschäft aufbauen, Lia eine vernünftige Ausbildung verschaffen und dann an ein eigenes Familienleben denken. Alles war vorbereitet.
Und jetzt schien das alles umsonst gewesen zu sein. Annabelle schaute betrübt nach draußen. Dann öffnete sie die Haustür und trat hinaus. Der Himmel war klar, die Luft warm. Erstaunlich mild für die Jahreszeit. Doch Annabelle fröstelte. Schon seit Tagen war ihr kalt. Noch nie hatte sie sich so einsam gefühlt.
Sie zog die Jacke fester um die Schultern und schaute zum Himmel hoch. Plötzlich spürte sie einen eiskalten Schauer auf der Haut. Sie war nicht allein.
Adam trug einen grünen Pullover und braune Cordhosen. Seine helles Haar leuchtete in dem sanften Abendlicht. In einiger Entfernung war das leise Rauschen des Meeres zu hören. Eine dunkle, geheimnisvolle Fläche. Kaum zu unterscheiden vom Himmel. Manchmal brandeten Wellen an den Strand. Ein Augenblick, dessen Zauber Annabelle niemals vergessen würde.
„Waffenstillstand?“, fragte er.
Ja, dachte Annabelle. Waffenstillstand. Jeder Mensch braucht einen Freund.
Obwohl sie nichts gesagt hatte, schien Adam die Antwort verstanden zu
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