Bianca Exklusiv Band 243
nichts mit der Schule zu tun. Und dem Sportlehrer habe ich gesagt, dass wir einen Notfall in der Familie haben.“ Wieder spielte sie nervös mit den Papieren. „Er hat das gleich verstanden.“
„Einen Notfall?“ Annabelle schüttelte den Kopf. „So schlimm ist es nun auch wieder nicht. Es tut mir leid, wenn ich euch Sorgen bereitet habe. Ich hatte nur nicht genug gegessen. Deswegen sage ich dir auch jeden Morgen, dass du ordentlich frühstücken sollst.“ Annabelle versuchte es mit einem Scherz, doch ihre gut gelaunter Tonfall klang wenig überzeugend. Sie machte einige rasche Schritte auf den Schreibtisch zu.
„Du solltest dich heute mit deinen Freunden treffen und ihnen erzählen, dass du auf der Juilliard-Schule angenommen worden bist. Also, geh jetzt los …“
„Nein, ich gehe nicht.“ Was sollte das heißen?
„Warum nicht? Hast du dich mit deinen Freunden gestritten? Oder gibt es ein anderes Problem?“
„Ich gehe nicht auf die Juilliard-Schule!“
Annabelle wurde ganz weiß im Gesicht.
Nicht auf die Juilliard-Schule? Die angesehenste Hochschule des ganzen Landes!
Sie starrte ihre Schwester an, und das erste Mal seit Langem wusste sie nicht, was sie sagen sollte. All die Jahre, die sie allein in diesem Haus gelebt hatten, war Annabelle für Lia eher eine Mutter als eine Schwester gewesen. Und Lia hatte sich stets verständnisvoll und hilfsbereit verhalten. Sicher, sie gab eher ihren Gefühlen nach und war weniger gut organisiert als Annabelle, aber insgesamt war sie doch vernünftig und zuvorkommend. Die meisten Krisen während der Pubertät hatten sie gut überstanden, und das Verhältnis der beiden Schwestern war mit der Zeit immer vertrauensvoller geworden.
„Lia“, sagte Annabelle ruhig, aber bestimmt. „Schau mich an.“
Lia blickte auf und schob das Kinn hartnäckig vor. Doch Annabelle erkannte auch, dass sie Tränen in den hellblauen Augen hatte.
„Erzähl mir alles, Liebes“, sagte sie sanft. „Wo liegt das Problem?“
„Das sollte ich wohl besser dich fragen“, gab Lia zurück. „Schon vor Monaten oder sogar Jahren. Aber du hast mir ja nichts erzählen wollen. Das Haus könnte uns über dem Kopf zusammenfallen, und ich wäre die letzte, die davon erfahren würde.“
Ach, du große Güte! Wahrscheinlich hatte Lia den Stapel unbezahlter Rechnungen entdeckt.
„Lia, Liebes, es ist nicht so schlimm, wie du denkst.“
„Ach, Belle, tu doch nicht so, als wäre ich ein kleines Kind. Die Zeiten sind vorbei!“ Vor Aufregung zitterte Lia. „Du hast gesagt, dass du noch soviel Papierkram zu erledigen hättest. Deshalb bin ich früher nach Hause gekommen. Ich wollte dir dabei helfen, aber dann habe ich das hier entdeckt.“
Annabelle brauchte gar nicht hinzuschauen, um zu wissen, wovon ihre Schwester sprach. Plötzlich kam ihr ein schrecklicher Gedanke.
„Lia, du hast doch hoffentlich Mrs Costello nichts davon erzählt? Sie tratscht fürchterlich viel, und die ganze Stadt würde wissen, dass …“
„Natürlich habe ich ihr nichts gesagt.“ Lia schüttelte traurig den Kopf. „Du vertraust mir wohl gar nicht, Belle. Die Lage ist so schlecht, dass du sogar einen Kredit aufnehmen willst, und du erzählt mir nichts davon.“ Lia ließ sich in den Sessel sinken. „Es stimmt ja, dass ich dir keine besonders große Hilfe war.“
„Da täuschst du dich, Lia. Ich weiß genau, dass ich auf dich zählen kann.“
„Wobei denn? Ich habe ein paarmal ein Hochzeitslied gesungen, das ist doch alles.“ Lia war aufgesprungen. „Ach, Belle, ich bin einfach zu selbstsüchtig gewesen. Aber auch, wenn ich nur an mich selber gedacht habe, verstehe ich nicht, dass du dich mir niemals anvertraut hast. Du hast immer gesagt, dass wir Partner seien, aber du hast mich nicht gleichberechtigt behandelt. Und ich habe dir niemals wirklich geholfen!“
„Lia, Schatz, das ist doch nicht wahr.“
„Und jetzt hast du nicht einmal mehr deinen größten Seelenverwandten, der dir helfen könnte.“
„Wen meinst du denn damit?“
„Steven.“
„Wir hätten wahrscheinlich die silberne Hochzeit zusammen gefeiert, aber wir waren keine Seelenverwandten.“
„Wie lange ist man verheiratet bei der silbernen Hochzeit?“
„Fünfundzwanzig Jahre.“
„Meine Güte.“
„Komm schon“, sagte Annabelle sanft und versuchte, sich ein heiteres Aussehen zu geben. „Es gibt wirklich keinen Grund zu übergroßer Traurigkeit. Weißt du, was ich jetzt am liebsten machen würde? Den Erfolg meiner
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