Bianca Exklusiv Band 87
den gereizten, Furcht einflößenden Mann, den Lucy vorher erlebt hatte.
Es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren, aber sie gab sich Mühe, weil sie wusste, dass sie sich nur allzu bald beweisen musste. Also versuchte sie zu lernen, was ihr gar nicht leicht fiel, weil Max’ schillernde Persönlichkeit sie faszinierte. Seine Ausstrahlung übertrug sich auch auf die anderen. Mit seiner anschaulichen, unterhaltsamen Art erweckte er die Geschichte des Palazzos und seiner Vorfahren zum Leben.
„Sieht er nicht toll aus?” seufzte ein Mädchen in der Gruppe, das etwa in Lucys Alter sein mochte. „So viel geballte Kraft und Temperament! Ich wette, er ist umwerfend im Bett.”
Lucy errötete, denn da gerade ein kurzes Schweigen eingetreten war, hatten die anderen in der Gruppe die Bemerkung mitbekommen. Das schien das Mädchen jedoch keineswegs zu stören, denn es lächelte Max vielsagend an.
Danach begann die Gruppe, Max erbarmungslos zu necken, und selbst er hatte jetzt Mühe, sie unter Kontrolle zu halten. Max war erleichtert, als die Führung zu Ende war und die Besucher auf die ausgedehnten Gartenanlagen zusteuerten.
Er blickte Lucy fragend an. „Wie wär’s jetzt mit einer Tasse Kaffee?”
„Gern.”
Max stellte die Zeiger der Uhr auf der Hinweistafel auf die nächste Besichtigungszeit, dann führte er Lucy einen schmalen Pfad unter hohen, blühenden Magnolienbäumen entlang. Sie machten eine Viertelstunde Pause, für die Lucy dankbar war.
„Ich wusste nicht, dass die Besucher so anstrengend sein können”, gestand sie und ließ sich aufatmend in einen Korbsessel sinken.
„Wir ziehen hier ja auch buchstäblich eine Schau ab. Machen Sie es sich lieber nicht zu gemütlich”, warnte Max und bediente sich an einer Kaffeemaschine, die auf einem Imbissbüfett stand. „Uns bleibt nicht viel Zeit. Also, was ist bei Ihnen von meinen Vorträgen hängen geblieben? Wie lange sind die Mazzardis denn schon hier?”
„Seit 1547”, antwortete Lucy, die sich ein Plätzchen in den Mund geschoben hatte. Wollte Max die Kaffeepause nun auch noch zur Paukstunde machen?
„Erzählen Sie mir etwas über die erste Öffnung des Palazzos für die Öffentlichkeit”, fuhr Max erbarmungslos fort.
Lucy seufzte. „Ihre Großeltern gaben ihn zum ersten Mal für die Öffentlichkeit frei. Das Datum habe ich vergessen. Ihre Großmutter liebte die Gartenanlagen ganz besonders und ließ an den unmöglichsten Stellen Wasserfontänen anlegen. Viele Besucher wurden nass, wenn sie sie ahnungslos aufdrehten, und verbrachten dann ein, zwei Stündchen im Treibhaus, um sich trocknen zu lassen. Es dauerte lange, ehe man Ihre Großmutter dazu bringen konnte, die Fontänen an vernünftigere Orte zu verlegen.”
„Richtig.” Max lächelte versonnen. „Sie ist eine ziemlich dickköpfige alte Dame.”
„Sie lebt also noch?” fragte Lucy.
„Sie ist entschlossen, uns alle zu überleben”, erklärte Max.
In der Ferne begann ein Mann, Körner auf den Rasen zu streuen, der sich bis zum Seeufer hinunterzog. Von irgendwoher tauchten bunte Sittiche auf. Lucy hatte ihr Gekreische schon vorher hinter den hohen Zedern gehört. Als sie Max wieder ansah, wirkte er entspannter und amüsierte sich sogar über die aufgeregten Vögel.
„Es ist schön hier”, sagte Lucy leise. „Ich verstehe nicht, wie Sie hier weggehen konnten.”
„Ich wollte es nicht, aber es ging nicht anders. Die Umstände zwangen mich dazu.”
„Obwohl Sie erst achtzehn waren?”
Max blickte einen Augenblick nachdenklich in die Ferne, dann sagte er: „Vater und ich hatten uns wegen Kenzo so zerstritten, dass wir das Gesagte nicht mehr rückgängig machen konnten. Wir waren zu weit gegangen. Vater und ich waren uns einfach zu ähnlich … wir waren beide schnell aufbrausende, rechthaberische Hitzköpfe und hielten uns für die größten.”
„Was taten Sie da?” fragte Lucy vorsichtig. Max’ offene Selbsteinschätzung beeindruckte sie.
„Mir war klar, dass ich hier nicht mehr erwünscht war. Außerdem gab es ja noch meinen Bruder. Da nahm ich meine Ersparnisse und flog nach England. Mein Englisch war ganz anständig, und da ich mich mit Weinen auskannte, fand ich bald eine Anstellung als Weinverkäufer. Ich beobachtete, plante und versuchte, so viel wie möglich zu lernen.” Max schien die Vergangenheit erneut zu durchleben. „Es war damals nicht leicht. In England war ich ein Fremder und fühlte mich ziemlich einsam. Aber ich war entschlossen, es zu etwas zu
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