Bianca Exklusiv Band 87
halbem Ohr gehört. Ein Wort ging ihr nicht mehr aus dem Kopf: Rechnung. Sie hatte kein Geld mehr! Selina hatte alles mitgenommen. Was sollte sie jetzt tun? Max rief sie aus dem Nebenraum, und Lucy fuhr zusammen.
Dieser Sklaventreiber! „Bleiben Sie nicht zurück”, rügte er, als sie sich zu ihm gesellte. „Ich bin in Eile, wie Sie wissen.”
„Ich …” Lucy war entschlossen, nicht zu weinen, und sie flocht verzweifelt die Finger ineinander.
„Was ist?” fragte Max erstaunlich sanft.
Sie konnte ihn nur verschwommen sehen, weil ihre Augen sich mit Tränen füllten. „Ich hasse Tränen!” schniefte sie. „Sie bringen einen doch nicht weiter.”
„Also, da bin ich mir nicht so sicher.” Max seufzte und legte ihr beruhigend den Arm um die Schultern. „Bei mir scheinen sie eine Wirkung zu haben.”
Lucy blickte ihn überrascht an. Merkwürdigerweise schien Max ebenso verwirrt zu sein wie sie. „Ich weiß nicht, was ich tun soll oder an wen ich mich wenden könnte”, sagte sie unglücklich. „Sie weigern sich, mir zu glauben, und scheinen sich dadurch berechtigt zu fühlen, mich unter Druck zu setzen. Ich habe gestern Abend nicht zu Hause angerufen und weiß nicht einmal, wie die Dinge dort laufen. Lässt es Sie wirklich kalt, ob die alte Mrs. Knight ohne mich zurechtkommt? Wollen Sie wirklich die Verantwortung dafür übernehmen, dass meine alten Eltern sich meinetwegen Sorgen machen?”
Zu ihrer Erleichterung machte Max ein betroffenes Gesicht. „Das tut mir Leid”, lenkte er ein. „Rufen Sie sofort an.”
„Jetzt gleich?” Lucy traute ihren Ohren nicht. „Aber jetzt gilt doch der teure Tarif.”
„Sofort!” wiederholte Max und schob sie in ein kleines Büro an einer Seite des großen Saales. Mit Unbehagen stellte Lucy fest, dass Max nicht daran dachte, sie allein zu lassen. Er lehnte sich an die Wand und beobachtete sie wachsam. „Wenn das ein Trick ist, wenn Sie lügen, können Sie etwas erleben”, drohte er.
Lucy suchte hastig nach der internationalen Vorwahl. Max Mazzardi würde bald merken, dass sie die Wahrheit sprach.
Während sie Lionel überschwänglich begrüßte und ihn nach den Heimbewohnern fragte, fühlte sie Max’ Blick auf sich ruhen. Lucy wurde noch unbehaglicher, als sie ihren Stiefvater fragte, ob sie noch zwei Tage länger bleiben könne. Doch Lionel versicherte ihr prompt, sie würden auch eine ganze Woche ohne ihre Schokoladentorten auskommen, länger jedoch nicht, sonst gäbe es eine Meuterei.
Lucys Lippen zitterten leicht, als sie den Hörer auflegte.
„Sie leiten also tatsächlich ein Heim”, stellte Max fest.
„Das habe ich Ihnen doch gesagt”, erwiderte Lucy mit erstickter Stimme. Alle vermissten sie schrecklich, obwohl sie gut betreut wurden. Auf Lionels Frage nach Selina hatte sie nur ausweichend geantwortet.
Max war während des Telefonats näher getreten. „Sie klangen sehr besorgt”, sagte er.
„Natürlich”, erwiderte Lucy. „Sie müssten das doch nachvollziehen können - es geht um Menschen, die mir etwas bedeuten und die von mir abhängig sind. Sehen Sie, Max, ich verstehe ja, dass Sie wütend über Renzos Fortgehen sind, weil Sie dadurch gezwungen sind, hier nach dem Rechten zu sehen, statt Ihren eigenen Interessen nachzugehen. Aber daran bin ich doch nicht schuld. Sie müssen doch einsehen, dass ich hier nicht länger als bis Ende der Woche bleiben kann. Dann nämlich muss meine Vertretung den nächsten Posten übernehmen.”
„Komisch”, meinte Max kopfschüttelnd. „Wir befinden uns hier auf einer der schönsten Inseln der Welt, inmitten von sonnigen, exotischen Gärten, und Sie können es nicht erwarten, ins verregnete England zurückzukehren.”
Lucy lächelte schwach. „Ja, es klingt verrückt. Aber Sie verstehen mich doch, nicht wahr?”
„Ja”, nickte Max. „Ich glaube, ich habe sie wohl doch nicht ganz richtig beurteilt. Vielleicht haben Sie in gutem Glauben gehandelt. Das wird sich ja zeigen. So, und jetzt ist es Zeit, unsere erste Gruppe herumzuführen.”
Im Laufe des Vormittags entdeckte Lucy, dass Max Mazzardi auch überaus charmant und liebenswürdig sein konnte. Er geleitete die Besucher wie ein gewiefter Fremdenführer durch seinen Palast, beantwortete unermüdlich und humorvoll auch die ausgefallensten Fragen, wich Dingen, die die Familie betrafen, geschickt aus, lotste Kinder von hohen Balkons über dem See, beschlagnahmte lächelnd ihre Kaugummis und verlor niemals die Geduld. Nichts erinnerte mehr an
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