BIANCA SPEZIAL Band 03
gelernt, ihr Kind aufzuziehen – allein. Sie hatte sich daran gewöhnt, allein zu sein, wenn Bonny schlief, und hüllte sich in die Liebe zu ihrer Tochter, selbst wenn sie nicht beisammen waren. Sie brauchte nicht mehr. Oder doch?
Seufzend zog sie die Akte auf dem Tisch näher zu sich, ohne sie durch den Tränenschleier wirklich zu sehen.
„Es ist spät“, sagte Chad leise.
Hannah drehte sich um und sah ihn im Türrahmen stehen. Sie holte tief Luft, wischte sich die Tränen von den Wangen und beobachtete, wie er sich das T-Shirt auszog und sich damit den Nacken abwischte.
Ihr fiel auf, dass er das Stärkere nicht besorgt hatte, weswegen er fortgegangen war. Sie blickte zu seinem Rucksack auf dem Fußende des freien Bettes und dachte an die Wodkaflasche, die sich darin befand. Hatten diese Flasche und andere ihm nach ihrer Trennung geholfen, die Dinge zu klären? Und hatte ihr Gespräch ihn dazu veranlasst, erneut Trost im Alkohol zu suchen?
Sie hasste das trostlose Schweigen, das die ohnehin drückende Atmosphäre belastete. Sie suchte nach etwas, das ihren und seinen Schmerz linderte. Seltsamerweise verspürte sie neben allen anderen Empfindungen ein Bedürfnis nach ihm, das früher nicht existiert hatte. Sie hatte ihn immer begehrt. Aber sie hatte ihn nie gebraucht. „Chad? Warum bist du zurückgekommen?“
Sie war sich nicht bewusst, dass sie den Atem anhielt, bis sie gezwungen war, Luft zu holen. Sie war sich ziemlich sicher, dass er nicht nur nach New York zurückgekehrt war, weil Elliott ihn gerufen hatte. Wäre es der Fall, hätte er ohne sie die Verfolgung der Flüchtigen aufgenommen.
Er begegnete ihrem Blick. „Ich bin zurückgekommen, um mich bei dir zu entschuldigen.“ In seinen Augen lagen Aufrichtigkeit und Schmerz. Erneut drehte er ihr den Rücken zu. „Ich bin zurückgekommen, um dir zu sagen, dass es mir leidtut. Allerdings sieht es so aus, als gäbe es wesentlich mehr, das mir leidtun sollte.“
Geistesabwesend beobachtete sie, wie er durch den Raum ging, einige Sachen aus seinem Rucksack nahm und die Decke des leeren Bettes zurückschlug. Sie wusste nicht recht, was sie sagen sollte. „Findest du nicht, dass wir den persönlichen Aspekt beiseitelassen sollten?“ Ihre Worte klangen so fern, als hätte jemand anders sie gesagt. „Wir müssen über die Möglichkeit reden, dass Persky und Furgeson mit jemand anderem zusammenarbeiten. Wenn es der Fall ist und wir diese Person ausfindig machen können, führt sie uns vielleicht zu ihnen.“
„Es ist spät, Hannah. Ich bin müde. Du bist müde.“ Er trat zum Tisch und schloss die Akten, aber es lag kein Zorn in der Geste, nur ruhige Entschlossenheit.
Langsam stand sie auf, um die Gardinen zu schließen. Ein dumpfes Klappern in der Nähe des offenen Fensters ließ sie verharren. Angst packte sie.
Augenblicklich schaltete Chad das Licht aus. „Was war das?“, fragte er dicht hinter ihr. Zu dicht.
„Ich weiß nicht.“ Sie erinnerte sich an die Scheinwerfer, die sie ein paar Minuten zuvor geblendet hatten. Sie wirbelte zu ihm herum. „Was hast du vorhin gekauft?“
„Nichts.“
„Ist dir jemand gefolgt?“
„Nein.“
Hannah griff nach dem Pfefferspray in ihrem verborgenen Gürtel und spähte durch den Spalt zwischen Gardine und Wand. Eine schattenhafte Gestalt eilte über den dunklen Bürgersteig, fort von ihrem Raum. „Er ist weg“, sagte sie leise.
Chad öffnete die Tür, bückte sich und hob eine zerquetschte Limonadendose auf. „Sieht ganz aus, als ob unser nächtlicher Besucher Fußball mit Dosen spielt.“ Er legte die Dose zurück vor die Tür.
Sie erschauerte trotz der Hitze. „Ich habe niemanden am Fenster vorbeigehen sehen.“
„Ich auch nicht. Ein unschuldiger Passant läuft normalerweise nicht weg, wenn man ihn hört.“
Hannah rieb sich die Arme. „Es sieht so aus, als ob wir verfolgt werden.“
„Allerdings.“ Chad blickte sie an mit einem Ausdruck in den Augen, den sie nicht deuten konnte. Besorgnis? Angst?
Sie spähte aus dem Fenster auf den unheimlich stillen Parkplatz und Bürgersteig.
„Bist du okay?“
Sie wünschte, er würde die Arme um sie legen, wenn auch nur für einen Moment, um sie zu beruhigen und ihr zu zeigen, dass er sie nicht hasste. „Es geht mir gut. Vielleicht reagieren wir übertrieben. Vielleicht ist der Typ nur ein Motelgast, der einen Spaziergang macht. Wer sonst könnte es sein?“
„Nicht das FBI, das ist sicher. Die hätten das Zimmer inzwischen
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