Bibbeleskaes
hielt mich mit beiden Händen am Sitz fest, während Martha den Wagen durch den Kreisverkehr zurück nach Achern-City lenkte. Wir erreichten Fautenbach schnell, aber Martha steuerte nicht die Linde an, sie fuhr weiter in Richtung Ãnsbach, bog rechts in den Feldweg zum Bitterrain ab, schaukelte den Mercedes über den steinigen Weg die Obstbaumhügel hinauf und parkte ihn wenig später unter unserem alten Kirschbaum. Sie lieà die Scheinwerfer leuchten, bis sie eine Tasche zur Bank vor dem Geräteschuppen geschleppt hatte und ich, immer noch vorsichtig Schritt vor Schritt setzend, bei ihr angelangt war.
»Kannst du mir mal sagen, was das soll?«, war der erste Satz, den ich mit ihr sprach, nachdem sie die Scheinwerfer gelöscht und auf dem Tisch ein Windlicht entzündet hatte.
»Du musst Hunger haben«, antwortete sie und holte den alten Thermosbehälter, Löffel und Teller aus der Tasche. »Eine Rindsbouillon mit Suppennudeln. Ein Teller davon und dir geht es gleich viel besser. Gott, ich hab ja gedacht, die lassen dich gar nicht mehr raus.«
Es gibt Gerichte, die stimmen gnädig, die lindern Wunden, die verheiÃen Versöhnung, und Martha wusste genau, dass eine Nudelsuppe für mich ein solches Gericht war. Kaum hatte sie den Deckel abgedreht, hielt sie mir den Topf unter die Nase. Ich sog den Suppenduft ein, roch das Rind und die Knochen, das Gemüse, das Lorbeerblatt, den Hauch von Muskat, spürte, wie sich der Duft wohltuend durch meinen Körper schlängelte.
Martha schöpfte den Teller voll, zauberte aus einem Plastikschälchen Petersilie und Schnittlauch herbei, und ich aà die Suppe und spürte ab dem ersten Löffel, wie sie Leib und Seele wärmte, sich die Fettaugen beruhigend auf die nervösen Magenwände legten.
Kindheitserinnerungen an sonnige Sommer und süÃe Kirschen blitzten in meinem Kopf auf, an Kirschkernweitspucken und Ãbernachten unter freiem Himmel. An Martha, die für uns Picknickkörbe gefüllt und Autan eingepackt hatte. Damals war sie noch eine wundervolle Mama, das lag weit vor den zermürbenden Kämpfen, von denen wir bis heute nicht lassen konnten.
»Ich habe nicht erzählt, dass ich dich am Rückhaltebecken gesehen habe«, murmelte ich und hielt ihr den Teller zum Nachfüllen hin. »Ich hoffe, das weiÃt du zu würdigen.«
»Frag, was du wissen willst. Ich habe beschlossen, dir alles zu sagen.«
Ihre Stimme vibrierte, ich spürte ihre Anspannung. Aufrecht saà sie neben mir auf der Bank. Den groÃen Busen nach vorne gereckt, die Augen auf die wenigen Leuchtpunkte der im Dunkeln liegenden Rheinebene gerichtet, die Hände nebeneinander auf den Tisch gelegt, über dem sich hartnäckig ein Hauch von Muskat in der Luft hielt. Die Kerze im Windlicht flackerte, und es zischte kurz, als eine Mücke ihre Suche nach Licht mit dem Leben bezahlte.
Marthas Vorstoà überraschte mich. Wollte sie mir den Wind aus den Segeln nehmen? Ein paar Halbwahrheiten in die Versöhnungssuppe rühren? Immerhin durfte ich jetzt fragen.
»Also gut. Was wolltest du oben am Rückhaltebecken?«
»Gar nichts!«, antwortete sie widerwillig. »Ich bin von Oberachern gekommen und war auf dem Heimweg. Ich fahr jetzt viel Rad, das predigst du mir doch schon lange, dass ich mich mehr bewegen soll, und ich wollte so schnell wie möglich heim. Spät genug warâs ja.«
»Aber du musst mich doch gehört haben!«
»Nur ganz undeutlich, und ich wollt doch heim, es hat sich doch schon der nächste Schauer angekündigt«, wedelte sie weiter Staub auf, um ihr Wissen noch nicht preisgeben zu müssen.
»Mama!«
Martha schindete weiter Zeit, indem sie nach der Tasche zu ihren FüÃen griff, diese auf den Tisch stellte und umständlich eine Flasche Wasser und zwei Becher herausholte.
»Du musst doch was trinken«, murmelte sie. »Bestimmt bist du schon völlig dehydriert. Gott, verdammi!«
Sie fluchte über einen festen Verschluss, sie drehte und zerrte daran. Das Wasser lief über, als die Flasche endlich offen war. Fahrig goss sie es in die zwei Becher und trank den ihren in einem Zug aus.
Erst dann kam sie auf meine Frage zurück: »Hab gedacht, solange du noch herumschreien kannst, ist nichts passiert.«
Das stimmte nicht. Martha hätte nie eine Chance verstreichen lassen, mich aus dem Dreck zu ziehen. Weil sie so ihr
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