Bibbeleskaes
FleiÃheftchen weiter mit guten Taten füllte, die sie mir dann später vorhalten konnte. Sie wollte in dieser Nacht nicht gesehen werden, oder sie wollte auf keinen Fall auf ihre Tochter stoÃen. Aber wieso?
»Was hast du eigentlich in Oberachern gemacht?«
Schweigen. Nicht im Walde, sondern unter den Kirschbäumen, die hier dicht an dicht standen und deren sanftes Rauschen erst jetzt, wo keiner sprach, zu hören war.
»Mama!«, wiederholte ich voller Ungeduld.
»Ich habe mich mit Pierre Mueller getroffen, in Kinnigers Hirsch. âs ist doch so viel passiert. Meinst du, du bist die Einzige, die das beschäftigt?«
»Und wieso in Oberachern? Wieso nicht in der Linde?«, fragte ich und verstand nichts.
»Der Pierre und ich ⦠Also, es ist nicht so, wie du jetzt denkst. Aber doch so, dass ich mich Jahr für Jahr auf das Wiedersehen mit ihm gefreut habe. Wir verstehen uns so gut, und tanzen kann der ⦠Und die Elsässer, die haben doch schon viel französischen Charme, so was trifft man bei uns nicht â¦Â«
Ich traute meinen Ohren nicht, und doch klingelten dort lauter Alarmglöckchen. Bilder stürzten auf mich ein: die aufgeregte Martha im Bus, Pierre, der Martha beim Kochen etwas ins Ohr flüstert, Martha und Pierre in Eintracht hinter dem Tresen der Winstub. Ich musste blind gewesen sein, und dennoch konnte ich es immer noch nicht glauben.
»Du hast was mit Pierre Mueller?«
Nein, nein, wehrte sie ab. So könne man das nicht nennen. All die Jahre nur verstohlenes Händchenhalten, mal ein flüchtiger Kuss, nur immer diese Freude aufeinander, aber dann am letzten Wochenende, wo Pierres Frau doch auf und davon mit einem aus der Normandie ⦠Der verfluchte Riesling, der einen so locker macht, die laue Sommernacht, sie habe sich so jung gefühlt, so spritzig, sie sei in so einer Einmal-ist-keinmal-Stimmung gewesen, und dann sei es halt passiert. Und der Sex! Sie habe gar nicht mehr gewusst, wie toll der sein konnte.
Ich trank schnell ein Glas Wasser und wehrte mich gegen die Bilder, die mir meine Mutter mit diesem Elsässer im Bett zeigten. Das reinste Liebesnest war die Winstub Mueller in dieser Festnacht gewesen, ein einziges Sodom und Gomorrha, Luc und ich mittendrin und im Bach der tote Murnier.
Deshalb habe sie mich wecken müssen, machte Martha weiter, sie habe ja schlecht gemeinsam mit Pierre hinauslaufen können, nachdem sie beim Fensteröffnen den Mann im Bach entdeckten. Sie sei doch kein Flittchen und bei Pierre Diskretion Ehrensache.
Ich trank weiter Wasser, hätte gern etwas Stärkeres geschluckt, schlug wie wild nach den Schnaken, die mir das Blut aussaugen wollten, gleich darauf nach dem Ungeziefer, das meine Beine vom Boden her angriff, und fragte mich, ob ich das wirklich alles wissen wollte, was Martha jetzt erzählte. Aber für diese Frage war es jetzt zu spät. Meine Mutter redete wie ein Wasserfall, alles, was sie so lange zurückgehalten hatte, sprudelte nur so aus ihr heraus.
Pierre habe sie gefragt, ob sie nicht zu ihm ziehen, mit ihm ein neues Leben anfangen wolle. Dafür sei es doch nie zu spät, das könne man doch auch noch mit siebzig plus. Das Angebot schmeichle ihr, lasse ihr Herz hüpfen, aber natürlich habe sie sich Bedenkzeit ausgebeten, so einfach sei alles ja nicht.
»Du willst Papa verlassen?«, quiekte ich. Der passende Tonfall war mir angesichts von Marthas Enthüllungen abhandengekommen.
Völlig durcheinander sei sie, wisse nicht mehr ein noch aus, das Leben plötzlich eine Achterbahn, nachdem es so lange friedlich dahingeplätschert war. Sie brauche wirklich dringend meinen Rat, weil ich doch so viele Erfahrungen mit Männern und Affären habe.
»Du? Meinen Rat bei Männern?« Ich quiekte immer noch, japste zudem nach Luft. »Was habe ich denn vorzuweisen? Ecki, ein mieser Verräter, Luc, der Mörder seines Vaters.«
Darüber wolle sie gleich noch mit mir reden, erst mal brauche sie meine Hilfe. »Was soll ich nur machen, Kind? So kenn ich mich doch gar nicht.«
Es war gut, dass ich schon saÃ. Ich konnte mich nicht erinnern, dass meine Mutter mich je um Rat gefragt hatte. Sie meinte es wirklich ernst, sie machte keine Show. Wie lange hatte ich darauf gewartet, dass sie mich nicht mehr als Kind, sondern endlich als gleichberechtigte Partnerin sah. Nur hätte ich mir für diesen Anlass ein anderes Thema gewünscht.
Weitere Kostenlose Bücher