Bibbeleskaes
setzte ich mich auf eine der harten Kirchenbänke. Der Himmel hinter den schmalen Fenstern schwarz wie die Nacht, der Donner rollte heran, Blitze zuckten, Regentropfen hämmerten auf das Dach. Die Wolken öffneten ihre Schleusen, nirgendwo ein Hoffnungsschimmer auf ein baldiges Ende des Regens. Der nächste Blitz erhellte einen unter dem Altar schlafenden Jesus, der übernächste einen ans Kreuz geschlagenen über dem Altar, und diese Gipsleiber leuchteten bei jedem Blitz in krankem Weià auf. Als ich mich umdrehte, sah ich den Glockenstrang, der wie ein Strick zum Hängen über der Tür baumelte. Ich dachte an die Sintflut und das Jüngste Gericht, Ãberbleibsel meiner katholischen Erziehung. Was sollte ich bereuen? Dass ich die Nacht mit einem Fremden verbracht hatte, der mir gefiel?
Das Gewitter wütete jetzt direkt über der Kapelle, der Donner brachte den Strick zum Schwingen, und die Jesus-Leiber erzitterten unter weiteren Blitzen. Eine verdrängte Kinderangst kehrte zurück: der verbotene Besuch in der alten Kirche. Der Sturm, der die Tanne gegen das Fenster peitscht. Das splitternde Glas, das Auge der heiligen Katharina in meinem Knie.
Lieber nass werden als hier bleiben, entschied ich und stolperte in den Regen hinein. Braune Sturzbäche liefen am StraÃenrand entlang, die langen Reihen der Rebstöcke verschwammen zu einem dreckigen Grün, das in einem grauen Niemandsland endete. Der Weg zurück ins Dorf dreimal so lang wie vorhin, die Weinfelder wollten kein Ende nehmen, und weit und breit fand sich keine Hütte, um sich unterzustellen.
Als ich im Dorf ankam, triefte ich vor Nässe. Scherwiller wirkte wie ausgestorben, selbst die Polizeiwagen, die immer noch auf der Place de la Libération standen, schienen vergessen worden zu sein. Mir war es recht, dass mich keiner so sah. Ich beeilte mich, in die Winstub Mueller zu kommen.
Dort hatte der Regen den Biergarten leer gefegt, umso voller war es in der Gaststube drinnen, die ich leider auf dem Weg zum Hotelzimmer durchqueren musste. Fast nur Fautenbacher saÃen da an den Tischen, die Franzosen hatten sich, wohin auch immer, zurückgezogen. Ich spürte, dass die aufgeregte, nach Sensationen gierende Stimmung von vorhin verflogen war, stattdessen einer von zermürbender Warterei geprägten Langeweile Platz gemacht hatte. An einem Tisch saÃen die Musiker, an einem die FuÃballer, an einem der Ortschaftsrat, und unsere kleine Kochgruppe hatte sich am Tresen versammelt. Kurze neugierige, auch genervte Blicke flogen in meine Richtung. Ich wusste selbst, dass ich wie ein begossener Pudel aussah, und wollte mich nicht erklären, sondern nur so schnell wie möglich in mein Zimmer, um mich umzuziehen, um ein bisschen allein zu sein.
Doch das verhinderte Martha, die mit Pierre so selbstverständlich hinter dem Tresen stand und Getränke ausschenkte, als wäre dies kein fremdes Lokal, sondern unsere heimische Linde. Als ich den Tresen passierte, fuhr ihre Hand blitzschnell nach vorne und hielt meinen Arm fest.
»Torschlusspanik, anders lässt sich dein Verhalten nicht erklären«, zischte sie. »Wo hast du gesteckt? Der französische Kommissar will noch mal mit dir reden.«
»Bis ich was Trockenes am Leib habe, muss er schon warten.«
Es hatte mich gewundert, als LeBoeuf mich vorhin so ohne Weiteres gehen lieÃ, nachdem ich ihm von meinem Messer im Rücken des Toten erzählt hatte. Meine Ehrlichkeit verbunden mit der Auskunft, dass ich es in der Salle polyvalente hatte liegen lassen, schienen ihm genügt zu haben. Falsch gedacht, wenn er mich jetzt noch mal sprechen wollte.
Ich schleppte mich nach oben. In meinem Zimmer blitzte beim Blick auf das ungemachte Bett das Glück der vergangenen Nacht auf. Ich fühlte mich mit einem Mal nur noch elend. Kein Glück hielt ewig, das wusste ich längst, aber es war doch nicht zu viel verlangt, sich zu wünschen, dass es länger als ein paar Stunden blieb. Ich rubbelte die nassen Haare trocken und wischte ein paar Tränen weg. Verheult wollte ich auf keinen Fall beim Verhör erscheinen. Dann schälte ich mich aus Hemd und Hose, tauschte beides gegen ein trockenes Sommerkleid und machte mich auf den Weg zu LeBoeuf.
Der kam nicht sofort auf das Messer zu sprechen, sondern legte mir ein Foto von einer Gruppe alter Männer auf den Tisch und deutete auf den Mann links auÃen.
»Erkennen Sie den
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