Bibbeleskaes
Mann?«
Er war kleiner als die anderen auf dem Foto, sein schlohweiÃes Haar wirkte kräftig, sein Gesicht erinnerte ein wenig an das von Jean Gabin. Bestimmt kam es mir deshalb bekannt vor. Er musste mal ein schöner Mann gewesen sein.
»Ist das der Tote?«
»Das ist Emile Murnier«, bestätigte der Kommissar. »Haben Sie ihn gestern Abend gesehen?«
»Vielleicht, vielleicht nicht. Sie wissen selbst, wie viele Leute auf dem Fest waren. Da kann man sich unmöglich alle Gesichter merken.«
»Sie haben ihn also nicht geohrfeigt?«
Deshalb kam mir sein Gesicht bekannt vor! Wie gut ich die kurze, unangenehme Episode des gestrigen Abends verdrängt hatte! Der alte Mann vor dem Damen- WC . Ich hatte nur den lüsternen Blick in seinem Gesicht gesehen und die Alkoholfahne gerochen, als der Alte mir an der schmalsten Stelle im Flur auf dem Weg zu den Toiletten wie zufällig mit einer erstaunlich schnellen Bewegung seiner Greisenhand zwischen die Beine fuhr.
»Jedem, der mir an den Busen grapscht oder mir zwischen die Beine fährt, knalle ich eine«, sagte ich.
»Er hat Sie belästigt?«
»Natürlich. Wie würden Sie es nennen, wenn Sie jemand unerlaubt bei den Eiern packt?«
»Sie waren wütend und aufgebracht?«
Ich beugte mich über den Tisch und funkelte LeBoeuf an. »Man darf nie aufhören, sich darüber aufzuregen, wenn Männer denken, dass Frauen Freiwild sind, die man nach Belieben jagen, begrapschen oder flachlegen darf. Eine Ohrfeige, finde ich, ist das Mindeste, was ein Mann für so ein schweinisches Verhalten verdient. Murnier habe ich übrigens noch sehr laut einen geilen alten Bock genannt.«
LeBoeuf lieà mein flammendes Statement ungerührt über sich ergehen und forderte mich auf, mich wieder zu setzen. Dann fragte er: »Was haben Sie nach diesem Vorfall gemacht?«
Mir ausgiebig die Hände gewaschen und mir dabei von Hedwig, die die Szene mitbekommen haben musste, zuflüstern lassen, ob ich nicht ein bisschen überreagiert hätte. Ich wusste also genau, wer LeBoeuf von diesem Zwischenfall berichtet hatte.
»Ich bin zurück in die Bar und habe nicht mehr daran gedacht.«
»Sie sollen sich« â kleine Pause â »sehr intim mit Luc Murnier, dem Sohn des Toten, unterhalten haben.«
»Stimmt. Aber ich wusste nicht, dass Emile der Vater von Luc ist.«
»Haben Sie Luc Murnier von dem Vorfall erzählt?«
Hatte ich? Ein Nebensatz, eine flüchtige Bemerkung? Ich erinnerte mich nur daran, dass Luc mir beim Zurückkommen ein frisches Glas Sekt in die Hand drückte und ich bereits nicht mehr an den Alten dachte, als ich beim AnstoÃen tief in seine Herbstaugen blickte. Warum hätte ich über so etwas Unangenehmes reden sollen?
»Haben Sie bei radikalen feministischen Aktionen teilgenommen?«
Ich schüttelte ungläubig den Kopf. So blöd konnte LeBoeuf nicht sein. Das Motiv war mit der ganz, ganz groben Nadel gestrickt!
»Dann wissen sie also nicht, dass Luc Murnier â¦Â« LeBoeuf brach mitten im Satz ab, weil sein Handy klingelte. Er nahm das Gespräch an, hörte aufmerksam zu, sagte am Ende »Jâarrives« , was sogar ich verstand. »Warten Sie hier!«, befahl er mir, stand auf und lief aus dem Zimmer.
Da saà ich nun allein in dieser Wäschekammer und wartete. Ich schloss die Augen und malte mir aus, wie dieser Sonntag hätte verlaufen können, wenn Emile Murnier nicht ermordet worden wäre: Luc wäre â von wo auch immer â zurück zu mir ins Bett gekommen. Er hätte mich festgehalten, mir seinen warmen Atem in den Nacken geblasen, mich vielleicht zu schlaftrunkenem, frühmorgendlichem Sex verführt. Gefrühstückt hätten wir auf keinen Fall in der Winstub unter den neugierigen Blicken der Fautenbacher und Scherwillerer. Vielleicht in Schlettstadt? Bestimmt hätte er mir die Croissantkrümel aus den Mundwinkeln gewischt oder eine Locke hinters Ohr geschoben. Ãber was hätten wir geredet? Ãber Reisen? Ãber die Liebe zum Essen? Oder wären wir ganz schnell wieder zurück ins Hotelzimmer gegangen? Wann hätte ich Luc von der WeiÃen Lilie erzählt? Oder von Ecki?
Ich besah mir die Handtücher in den Körben neben dem Tisch, die darauf warteten, gefaltet und in das Regel links des Tisches gelegt zu werden, wo weitere Handtücher in Fünfer-Stapeln lagerten. Die
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