Bibbeleskaes
davon. Ziellos irrte ich durch die Gassen des Dorfes, bis ich irgendwann wieder auf der Place de la Libération stand. Auch hier parkten jetzt Polizeiautos, die Tür zur Salle polyvalente war geöffnet. Ein hektisches Kommen und Gehen. Spurensicherung, Reinigungskräfte, wer auch immer. Es interessierte mich nicht, ich musste mit Luc reden.
Er hatte erzählt, dass er auÃerhalb des Dorfes in der Nähe der Kapelle am Tannehues wohnte, und so marschierte ich bald durch Rebfelder, die sich von der Ebene aus in sanften Hügeln bis zum Wald zogen. Alles Riesling, wie ich seit gestern Abend wusste, unterhalb der Ortenburg sogar auf sehr guten Granitböden gezogen, auf denen ein hervorragender Wein gedieh, teilweise Grand Cru . Die Ruine der Ortenburg erkannte ich wieder. Zu der war ich als Jugendliche mal mit Rosa und Antoinette gewandert.
Bei der kleinen Kapelle bog ich rechts ab und stand wenig später vor Lucs Haus, das inmitten der Weinberge lag. Gebaut mit viel Glas und Beton, hatte es nichts mit den gemütlichen Fachwerkhäusern im Dorf gemeinsam, selbst die dort übliche Blumenpracht im Hof und an den Fenstern fehlte. Eine trutzige Demonstration von Anderssein. Die Hofeinfahrt bedeckte grauer Kies, unter dem Carport fanden sich ein kleiner Traktor und anderes Gerät fürs Weingärtnern. Daneben ein Flachbau, neben dessen Tür das gleiche Schild hing wie am Haus seines Vaters. Vin â achate et dégustation. Ich ging auf das Wohnhaus zu. Das Grün der Eingangstür war das Grün der Reben, die rechts und links davon nach oben rankten. Ich drückte auf die Klingel, über der schlicht der Name »Murnier« stand.
Die Tür wurde von einem Mädchen aufgerissen. Vielleicht sechzehn, siebzehn, ganz in Schwarz gekleidet, sehr helle Haut, die Haare schwarz, eindeutig gefärbt, zu einer wirren Hochsteckfrisur aufgetürmt. Der dicke Kajalstrich, mit dem sie die Augen umrandet hatte, gab diesen etwas Schreckhaftes. Die Augen waren die von Luc. Herbstaugen, kastanienbraun.
»Bonjour«, sagte die Tochter weder schreckhaft noch erstaunt, sondern eindeutig mürrisch und keineswegs erfreut, eine fremde Frau vor der Tür stehen zu sehen.
Ob ich Luc Murnier sprechen könne, stakste ich auf Französisch.
»Der ist nicht da«, antwortete sie auf Deutsch, drehte sich um und knallte mir die Tür vor der Nase zu.
Dass Luc eine Tochter hatte, musste ich erst verdauen. Ob es auch eine Mutter dazu gab? Natürlich gab es eine Mutter, sagte ich mir, aber keine andere Frau. Trotzdem dauerte es, bis ich genügend Kraft gesammelt hatte, erneut zu klingeln. Wieder öffnete das Mädchen.
»Wo finde ich ihn? Ich muss ihn wirklich dringend sprechen!«
Sie zuckte mit den Schultern, sagte, sie wisse nicht, wo er sei, und knallte dann wieder die Tür zu.
So vor den Kopf geschlagen stand ich noch ein Weilchen vor der Tür und trat den Rückweg an, ohne ein drittes Mal zu klingeln. Der Kies unter meinen FüÃen knirschte schmerzhaft laut. Das Geräusch lieà ein paar Krähen auffliegen, die die Luft mit klagendem Krächzen füllten. Ich sah, wie schwarze Wolken die Sonne wegdrängten, in der Ferne krachte ein erstes Donnergrollen. Die Vorboten eines Sommergewitters, gleich würde es regnen. Ich lief schneller. Vor mir lagen die Kapelle und die Kreuzung. Der Donner grollte lauter, erste Blitze zuckten über den schwarzen Himmel.
Ein Motorrad, von der Kapelle kommend, wirbelte jede Menge Staub auf und schoss an mir vorbei. Ich sprang verärgert zur Seite und blickte ihm nach. Auf der Jeansjacke des Fahrers erkannte ich das Emblem der Hellsass Devils, und dann sah ich, wie das Motorrad zum Murnierâschen Haus abbog und dort stoppte.
Trau deinem Herzen, befahl ich mir, als die ersten Tropfen auf den Boden klatschten, denn das sagte mir, dass Luc mit all dem nichts zu schaffen hatte. Dann fiel mir ein, dass wir nicht mal unsere Handynummern getauscht hatten. Aber Liebe brauchte keine Handynummern. Liebende fanden sich ganz von allein. Und während ich diese von Kitsch triefenden Sätze dachte und vor dem Regen Schutz in der Kapelle suchte, betrachtete ich mich für einen Moment von auÃen und stellte erstaunt fest, dass ich, eine gestandene Frau von Mitte vierzig, eine, der die Liebe schon viele Wunden geschlagen hatte, wie ein Teenager fühlte, der überzeugt war, die groÃe Liebe gefunden zu haben.
Aufgewühlt
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