Bibbeleskaes
hätte ich nichts gemerkt?«
Ihr Blick beantwortete die Frage eindeutig. Nicht auffallen! Keinen unnötigen Streit riskieren! Fünfe gerade sein lassen! Um des lieben Friedens willen Ruhe geben! Das Dorf vergisst nichts! Wenn es sein muss, den Leuten nach dem Mund reden! So lauteten einige ihrer goldenen Lebensregeln, und es fuchste sie, dass diese Regeln nicht auch die meinen geworden waren.
Ein Blick auf die Uhr und sie schluckte mit zusammengekniffenem Mund weitere Vorwürfe hinunter, was ihren Walkürenkörper zum Beben brachte. Dann liefen wir weiter.
Auf der Place de la Libération war der Bus vorgefahren, alle saÃen bereits auf ihren Plätzen, nur Sophie und Käshammer warteten drauÃen. Die Polizeiwagen standen immer noch herrenlos auf dem Platz, aus den Blumenkübeln tropfte das Wasser, die Mairie wirkte verwaist. Von den Franzosen war keiner zu sehen. Vielleicht hatte man wegen des Mordes auf eine offizielle Abschiedszeremonie verzichtet. Vielleicht war sie auch bereits vorbei. So ein Ende der Feierlichkeiten zu fünfundvierzig Jahren deutsch-französischer Freundschaft hatte sich bestimmt keiner gewünscht. Vergebens sah ich mich auf dem Platz mal wieder nach Luc um.
»Da hatâs ja noch geklappt«, schnaufte Martha und stellte Käshammer ihren Koffer vor die Beine. »Geh, sei so gut und verstau ihn. Wirst schon noch ein Plätzel dafür finden.«
Der Busfahrer murrte zwar, griff aber nach dem Koffer. Derweil kam Sophie auf mich zu.
»Schön, dass wir dich mit zurücknehmen können. Eine Zeit lang hatâs ja nicht so ausgesehen. Glück für dich, dass die Franzosen Jakub Sajdowski festgenommen haben.«
Der junge Mann, dem ich vor dem »Verhörzimmer« begegnet war.
»Wer ist das?«, wollte ich wissen.
»Sein Verwalter«, erklärte Martha ungeduldig.
»Steckt das blutverschmierte Hemd einfach in die Dreckswäsche«, brummte Käshammer. »Manche sind so blöd, dass sie sich schnell erwischen lassen. Ich mein, für uns ist es gut. Wer weiÃ, wann wir sonst hätten fahren können.«
»Und warum?«, wollte ich wissen.
»Ja, wegen seiner Frau«, erklärte Martha, und die anderen beiden nickten. Alle schienen Bescheid zu wissen, nur ich nicht.
»Lass uns fahren, Manfred«, befahl Sophie dem Busfahrer. »Bevor die Franzosen es sich anders überlegen. War schwer genug, sie zu überzeugen, dass keiner von uns davonläuft, nur weil wir wieder auf unsere Rheinseite fahren.«
»Gestanden hat dieser Jakub also nicht?«, hakte ich nach.
Keiner antwortete. Martha und Sophie zwängten sich in den Bus, Käshammer bedeutete mir, den beiden zu folgen, stieg dann hinter mir ein und schloss die Tür. Sophie blieb direkt vorne bei den Mitgliedern des Ortschaftsrates hängen, Martha murrte, als sie bemerkte, dass unsere beiden Plätze schon anderweitig belegt waren, und setzte sich neben Erna. Ich kämpfte mich weiter nach hinten und musste feststellen, dass es nur neben Felix Ketterer noch einen freien Platz gab, der leider direkt hinter Pascal und Hedwig saÃ. Hedwig! Deren Nachbarschaft hätte ich mir heute nicht freiwillig ausgesucht. Felix hielt den Kopf gesenkt, starrte seine Knie an und war mit seinen Gedanken weit weg. Er bemerkte mich überhaupt nicht.
»Felix?«
Er schreckte hoch. Es schien ihn zu erleichtern, dass ich es war, die vor ihm stand, und nicht jemand anders.
»Sophie?«, rief er durch den Bus, und als sie nickte, sagte er: »Kannst dich ruhig setzen. Sophie wird die Fahrt über noch mit Politik und Krisenmanagement beschäftigt sein.«
»Lässt du mich ans Fenster?«, fragte ich, und Felix lieà mich. Ich knüllte meine Handtasche zu einem Kissen zusammen und lehnte sie samt Kopf ans Fenster. Gott, waren die alten Holzsitze unbequem!
»Sie muss ja noch ein bisschen üben, jetzt wo sie Oberbürgermeisterin von Oberkirch werden will«, kam es von vorne. »Müsst ihr eigentlich umziehen, wenn Sophie die Wahl gewinnt?«, fragte Hedwig und drehte den Kopf um. Mit dem weiÃen Poloshirt und dem um die Schultern gelegten rosa Strickjäckchen wirkte sie so frisch und fröhlich, als wäre sie einer Barbie-Küche entsprungen. »Gibt es Residenzpflicht?«, fragte sie interessiert.
»Wird empfohlen, ist aber nicht zwingend«, nuschelte Felix knapp und rutschte tief in seinen Sitz und schloss die
Weitere Kostenlose Bücher