Bibbeleskaes
Felix, tut mir echt leid«, stammelte ich mir eine Entschuldigung zusammen.
»Ich war übrigens auch nur einmal in Scherwiller, falls dich das interessiert. Und bei dem, was passiert ist, wirdâs auch das letzte Mal gewesen sein.«
»Dieser Mord an Murnier macht uns alle verrückt.«
Felix schob das letzte Stück Zwiebelkuchen in den Mund, knüllte seine Serviette zusammen, steckte sie in die Hosentasche und holte die Schachtel Roth-Händle heraus.
»Der junge Murnier macht dich verrückt, Katharina«, sagte er dann leise. »In Scherwiller pfeifen es die Spatzen von den Dächern, wie sehr Vater und Sohn sich gehasst haben. Hass! Ein stärkeres Motiv für ein Verbrechen gibt es nicht.«
Er nestelte eine Kippe aus der Packung, steckte sie sich in den Mund, zog wieder das Streichholzbriefchen aus der Tasche und zündete die Zigarette an.
Ich deutete auf das Briefchen und sagte fast trotzig: »So eines hab ich am frühen Sonntagmorgen vor dem Haus von Emile Murnier gesehen.«
Er nahm einen kräftigen Zug und pustete das stinkende Kraut in die Luft.
»Bist du im Verhör nicht danach gefragt worden? Ich ja. Kann sein, ich habe es dort verloren, als ich nach der BegrüÃung einen Rundgang durchs Dorf machte, aber ich weià es nicht. Wer achtet schon auf Streichhölzer?« Wieder ein kräftiger Zug, dann: »Du entschuldigst mich?«
Er wartete meine Antwort nicht ab, lieà mich einfach stehen, verschwand zwischen den schnatternden, Zwiebelkuchen essenden Grüppchen im Biergarten. Ich hielt meinen Zwiebelkuchen immer noch in der Hand und kam mir wie eine geistige Schwester von Hedwig vor, wie eine, die bösartige Gerüchte streute.
Etwas später lieà ich mich von der Masse zurück zur zweiten Hälfte der Vorstellung ziehen. Ein frischer Wind wirbelte durch die Wipfel der Tannen, Fledermäuse flatterten lautlos zwischen den durch Bühnenlicht erhellten Ruinen, vom Boden her zog kühle Feuchtigkeit auf. Ich fror, weil ich nichts zum Wärmen mithatte, vielleicht auch, weil ich mich so dämlich angestellt hatte. Ich hielt immer noch den Zwiebelkuchen in der Hand. Sophie fragte, ob ich ihn nicht essen würde, ich reichte ihn ihr.
Auf der Bühne trat Richter Adam beim Versuch, aus seinen Lügen eine Wahrheit zu machen, in weitere Fettnäpfchen. Sophie amüsierte sich, auch die Frau auf meiner anderen Seite, überhaupt alle rundum, nur ich nicht. Auch Murniers Mörder log, schwieg, manipulierte oder legte falsche Fährten, aber im Gegensatz zu den Figuren auf der Bühne wusste ich nicht, wer der Bösewicht war.
Ich hatte keinen siebten Sinn für die Wahrheit, keine innere Uhr, die schrillte, wenn man mich anlog. Natürlich konnte man mich täuschen und manipulieren. Dabei sehnte ich mich nach schneller Wahrheit, nach besseren Zeiten, nach Wärme und nach Luc. Luc log mich nicht an, allen Warnungen zum Trotz glaubte ich das. Ich holte leise mein Handy aus der Tasche, sah nach, ob er sich gemeldet hatte. Hatte er nicht.
Auf der Bühne fand das Gewirr aus Licht und Dunkel, Wahrheit und Lüge, Ordnung und Chaos ein gutes Ende. Tosender Schlussapplaus.
Erst beim Aufstehen stellte ich fest, dass Felix nicht auf seinem Platz gesessen hatte. Sophie schien das nicht zu beunruhigen, sie sprach schon wieder mit diesem und jenem, stimmte in das Lob über Käshammers Schauspielkunst ein. So wie der spielte, dachte ich, würde er auch jenseits der Bühne ein Meister der Täuschung sein.
Vielleicht hatte er mich komplett hinters Licht geführt? Vielleicht waren seine Geschäftsverhandlungen mit dem alten Murnier ganz anders verlaufen? Zumindest seine Aussage, dass Murnier die Deutschen hasste, hatte Luc bestätigt. Und Luc sprach die Wahrheit. Ganz bestimmt.
Ich beschloss, in Carlos Küche Marthas Bleche einzusammeln und dann nach Hause zu fahren. Die meisten Theatergäste strebten verfroren dem Parkplatz zu, aber ein wackeres Häuflein Unverzagter sammelte sich im jetzt sehr kühlen Biergarten, um noch einen Abschiedstrunk zu nehmen. Durch diese Leute musste ich mich auf dem Weg in die Wirtschaft hindurchschlängeln.
»Wie hast du ihn gefunden?« Hedwig erwischte meinen Arm, in der anderen Hand hielt sie ein Glas Sekt.
»Für einen, der ansonsten Busse kutschiert â¦Â«
»Nein, doch nicht Käshammer«, sie lachte mich aus. »Pascal mein ich natürlich.
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