Bibbeleskaes
»Papa-Kind« hatte mich Martha früher genannt. Egal ob ich etwas brauchte oder etwas angestellt hatte, bei Edgar konnte ich auf Unterstützung hoffen, aber im Gegensatz zu Martha war er Auseinandersetzungen immer aus dem Weg gegangen.
Familie! Wieso war ich wieder so tief in ihre Fänge geraten? Ich schüttelte meine Haare durch und betrachtete mich erneut. Ich sah schon noch mitgenommen aus, aber wenigstens halbwegs so wie ich.
Von der Gaststube her drang fremdes Stimmengemurmel zu mir nach oben. Kurz darauf hörte ich ein erschrecktes »Jesses, Maria und Josef!« von Martha. Dann fiel die Eingangstür zu. Die Nachricht von Felixâ Tod war in der Linde angelangt.
Als ich wenig später nach unten kam, saà Martha stumm und feindselig vor ihrer Kaffeetasse am Frühstückstisch, und Edgar tigerte erregt vor dem Tresen auf und ab.
»Jetzt gibâs schon zu, Martha!«, pflaumte er sie an. »Du bist weggâwesen, gestern Nacht, hab dich doch gehört, wie du zurückâkommen bist, so gegen einse.«
»Ist es schon so weit âkomme, dass du mir nachspionierst? Dass ich nicht mal mehr zur Dreckgass laufen kann â¦Â«
»Mitten in der Nacht, Martha, mitten in der Nacht!«
Zwar herrschte dicke Luft zwischen den beiden, aber immerhin redeten meine Eltern wieder miteinander. Und Edgar, nicht die Paradiesvogel-Bluse, verschaffte mir Gewissheit, dass Martha gestern Nacht unterwegs gewesen war.
Erst als ich nach einem Kaffee fragte, richtete sich die Aufmerksamkeit der beiden auf mich.
»Jesses, wie siehst denn du aus? Da musst du kräftig in dein Farbkästle greifen, bevor du nach StraÃburg gehst«, sagte Martha, nachdem sie mich gemustert hatte, und stand auf. »Musst dich ein bissl beeilen, damit du rechtzeitig zu deinem Patissierâ«
»Stell dir vor, der Felix ist tot«, fiel ihr Edgar ins Wort. »Gestern Abend ist dâSophie noch hier gâwesen und hat ihn gâsucht. Am Stammtisch haben sie sich ein SpäÃle gâmacht, dass ihr der Mann davonläuft, jetzt, wo sie Bürgermeisterin wird. â Mit so was hat doch kein Mensch gârechnet.«
»Dâr Felix so schnell nach der Gerti«, murmelte Martha.
Ich goss mir einen Kaffee ein, aber bereits der Geruch brachte meinen Magen erneut in Wallung. Ich schob die Tasse zur Seite, griff stattdessen nach dem halben Apfel, den Martha auf ihrem Teller liegen gelassen hatte, und betrachtete meine Mutter. Sie stellte die Kaffeetassen zusammen und wich meinem Blick aus.
»Wer hat es euch gesagt?«, fragte ich.
»Der Lorenz von der Ãlmühle«, erzählte Edgar. »Bei denen ist es heut Nacht zuâgangen wie auf dem Kurfürstendamm. Den Lorenz haben sie so gegen zwei rausgeklingelt. Ob er was gâhört hat, ob ihm ebbes aufgâfallen isch. Nix hat er gâmerkt! Bis das Theater losâgangen ist, hat der gâschlafen wie ein kleines Kindle.«
Martha sagte nichts dazu, die Kaffeetassen in der Hand, machte sie sich auf den Weg in die Küche. »An deiner Stelle würd ich ein bissel pressieren«, rief sie, ohne sich umzudrehen. »Ich will das viele Geld für den Patissier-Kurs nicht umsonst ausgegeben haben.«
Das Geld für den Patissier-Kurs! Als ob es darum ginge! Loswerden wollte sie mich, bloà nicht in ihrer Nähe haben. Aber nichts da. Ich nahm den Apfel in die Hand und folgte ihr in die Küche.
Martha tat, als ob sie mein Kommen nicht bemerkte. Sie beugte sich über die Spülmaschine. Ich lehnte mich daneben ans Waschbecken, biss in den Apfel, holte mir Mut beim Kauen, und sagte: »Ich hab dich gesehen, oben beim Rückhaltebecken, und danach habe ich den toten Felix gefunden. Im Bach, direkt unter der kleinen Brücke.«
Das Geschirr klirrte, als sie die Tür der Spülmaschine zuschlug. »Was sagst du? Der Felix lag im Wasser? Aber der Lorenz hat doch erzählt, dass sie ihn auf der Böschung gefunden haben.«
Es gelang ihr, ihrer Stimme einen brüchigen, alarmierten Ton zu geben. Sie richtete sich mühsam auf, ging an mir vorbei zum Fenster und starrte hinaus auf den Rathausplatz und den Schulhof. So allmählich reichte es mir.
»Tu nicht so, als ob du das nicht weiÃt«, fauchte ich sie an. »Du bist doch vor mir dort gewesen.«
»Du glaubst, ich hab was � Mit dem Tod vom Sohn meiner besten Freundin? Wie kannst du nur, was denkst du von
Weitere Kostenlose Bücher