Bibbeleskaes
zur Füllung der Macarons, ein Highlight der Patissier-Kunst. Warum nicht?, dachte ich, als ich mich in den Kreisverkehr zwischen Rheinbischofsheim und Freistett einfädelte, um weiter auf die Gambsheimer Brücke zu fahren.
Mein Handy klingelte, als ich die Brücke erreicht hatte. Luc, dachte ich, er ist frei, alles wird gut. Aber es war nicht Luc, es war Sophie.
»Du bist die Letzte, die ihn lebend gesehen hat. Ich muss mit dir reden.«
Ich hielt mich an dem »lebend« fest. Dass ich Felix auch als Erste tot gesehen hatte, konnte Sophie nicht wissen.
»Ja«, sagte ich, »natürlich.«
Ich sah sie vor mir, wie sie sich gestern Nacht ans Fenster lehnte, dann überstürzt in ihrem Auto davonfuhr. Bestimmt in der Hoffnung, einem schlechten Scherz aufgesessen zu sein, bestimmt in der Hoffnung, Felix lebend in die Arme schlieÃen zu können.
»Nicht am Telefon«, bestimmte sie.
»In zehn Minuten kann ich bei euch in der WeststraÃe sein.«
»Da bin ich nicht. Ich bin daheim in Ringelbach.«
Sie erklärte mir den Weg. Ich überquerte den Rhein und seinen Kanal, wendete am ersten französischen Kreisverkehr und überlegte, wie ich am besten fuhr.
Rheinbischofsheim, Renchen, wieder Mais, manchmal ein abgeerntetes Weizenfeld, ein kleines Stück Wald oder ein Kanal dazwischen, die Rheinebene hier weites Land. Von Renchen nach Ulm, jetzt rechts und links schon die Hügel der Vorberge, in Ulm ein Blick auf den Biergarten des Braustübls, ein Stich ins Herz, der letzte Abend, die letzte Nacht mit Luc. Weiter in Richtung Oberkirch, dann nach links, Ringelbach durchqueren, den Wagen an dem von Sophie beschriebenen Platz abstellen, weiter zu Fuà in die Weinberge hinein. Ãber mir blauer Himmel, blank gewaschen durch den Regen, Wolken in leuchtendem WeiÃ, eine prächtige Sonne, ein wundervoller Tag.
Ein Schlag ins Gesicht der trauernden Sophie, fand ich, die sich sicher regnerisches Grau und herbstliche Kälte wünschte. Aber nie lieà sich das Wetter als persönlicher Stimmungsmaler missbrauchen, es funktionierte nur umgekehrt, es konnte aufs Gemüt drücken. Ich stieg höher hinauf, unter mir weitete sich das Tal, der Rhein silbern glitzernd, in der Ferne das StraÃburger Münster. Das machte die Gegend so besonders, dieser Blick ins weite Tal, mit dem man für jeden Aufstieg belohnt wurde.
»Hier bin ich«, rief mir Sophie nach der nächsten Biegung zu, und ich sah sie ein paar Meter über mir auf der Bank vor einer kleinen Holzhütte sitzen. Die Reben um die Hütte herum Spätburgundertrauben, noch zwischen Grün und Rosé changierend, in vier Wochen, schätzte ich, würden sie rot sein. Sanft zogen sie sich den Berg hoch, endeten in einem Kastanienwald. In einem Rebstück etwas weiter weg entdeckte ich das schwarze Gerippe einer ehemaligen Hütte.
»Ein Hamperle oder jugendlicher Ãbermut, da ist ein Feuerteufel unterwegs«, erklärte Sophie, die meinem Blick gefolgt war. »Ist in diesem Sommer schon die vierte Hütte in Ringelbach. Ich bin froh, dass sie nicht die unsrige abgefackelt haben.«
Ich stieg die letzten Meter zu Sophie hinauf und setzte mich neben sie auf die Bank. Ihre kurzen Beine baumelten in der Luft, in ihr Gesicht wagte ich nur einen kurzen Blick. Blass, Ränder unter den Augen, die Kurzhaarfrisur ungewaschen und formlos. Die kalkige Haut gab den leuchtenden Sommersprossen auf ihrer Nase etwas Unanständiges. Vor der Bank auf einem Holzpflock standen eine leere und eine halb leere Flasche Spätburgunder und zwei Gläser. Sophie griff nach der Flasche, deutete auf das zweite Glas. Ich lehnte ab, wollte den Borbler-Teufel nicht mit dem Beelzebub vertreiben.
»Dein Rückzugsort?«, fragte ich.
»Hat der UrgroÃvater im Krieg gebaut. Drunter gibt es zwei unterirdische Gänge, die oben im Wald enden. Hat man damals als Schutz vor den Bombardierungen gegraben. Als Kinder haben wir uns gern dort versteckt. Unser Lieblingsspiel, wir seien die einzigen Ãberlebenden nach einer groÃen Katastrophe und müssten nun die Welt neu aufbauen. Aber heute sind die Gänge teilweise verschüttet, und vor Katastrophen bewahren sie auch nicht mehr. â Ãber was hast du gestern mit Felix geredet?«
Ãberraschend hart, die letzte Frage, nachdem sie davor in einem brüchigen Plauderton über die Hütte berichtet hatte. Ich erzählte es
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