Bibbeleskaes
ihr.
»Ein altes Foto von seiner Mutter und Murnier? Ein Zündholzbriefchen? Wegen solcher Lappalien hast du ihn verdächtigt, Murnier ermordet zu haben?«
In ihrer Stimme helle Empörung, ich duckte mich unter ihrem Blick weg, der nichts als Verachtung für mich hatte. Nein, nein, wehrte ich mich und stammelte, Felix und ich, unser Treffen sei ganz friedlich zu Ende gegangen, Felix überhaupt nicht böse gewesen, dass ich das alles gefragt habe. Wir seien doch alte Kinderfreunde, er habe mir doch den Glassplitter mit dem Auge der heiligen Katharina ⦠Und überhaupt stochere ich doch nur im Nebel, wolle irgendwie Licht ins Dunkel bringen, auf keinen Fall jemanden verdächtigen, Felix schon gar nicht, der ja auch eine völlig plausible Erklärung für das Zündholzbriefchen hatte, und das Foto eine Grille nur, ein altes Rätsel oder auch ganz harmlos, wahrscheinlich völlig unerheblich für den Mord, aber es hätte doch sein können, Gerti habe dem Sohn davon erzählt. Auch Dinge auszuschlieÃen sei doch wichtig bei einem Mordfall.
Sophies sonst knackiges Lachen klang blechern und böse, sie trank ihr Glas leer, bevor sie bissig bellte: »Bei einem Mordfall ist es vor allem wichtig, die Polizei ihre Arbeit machen zu lassen und ihr nicht stümperhaft dazwischenzupfuschen.«
»Es tut mir so leid, Sophie«, flüsterte ich. »Wenn ich irgendwas für dich tun kann â¦Â«
»Gestern in Allerheiligen, als Felix nach der Vorstellung nicht mehr auftauchte, hab ich Panik bekommen. So was kenne ich eigentlich nicht von mir. Ich halte nichts von bösen Ahnungen, mach mir nie Sorgen um ihn, aber gegen diese innere Unruhe bin ich nicht angekommen. Und dann, als er nicht daheim war, bin ich sofort los, habe ihn gesucht bei euch in der Linde, im Eichberg, im Kreuz, sogar im Sportheim bin ich gewesen. Hab mich vor allen zur Witzfigur gemacht, die Frau, die ihren Mann am Wirtshaustisch sucht, aber das war mir egal, weil ich gespürt hab, dass es mehr war, als dass er einfach allein sein wollte wie sonst so oft. Und dann, wieder zurück, war ich sauer auf ihn und wütend, weil er einfach abgetaucht ist. Ich hätte ihm eine Gardinenpredigt gehalten, wenn er gekommen wäre, hab stattdessen einen Spätburgunder getrunken, bin ins Bett, hab sogar schlafen können. Als dann der Anruf kam, wusste ich, es ist was Schlimmes.«
Mit jedem Satz spuckte sie Trauer und Verzweiflung in die Weinberge, konnte gar nicht mehr aufhören zu reden.
»Als Erstes bin ich zum Rückhaltebecken gefahren. Alles war so gespenstisch: die Autos, die Scheinwerfer, die Leute in den Schutzanzügen, der Regen, der Mais, der Wind in den tropfnassen Blättern. Wie in einem schlechten Film, wie in einem foppenden Alptraum. Und dann, ihn da liegen zu sehen in dem grellen Licht auf dem nassen Boden. Er hat Gras im Gesicht gehabt, Katharina, Gras! Es hat ihn nicht gestört, er sah ganz friedlich aus.«
Verzweifelt trank sie das Glas leer, füllte es sofort wieder auf. Sie blickte abwechselnd ins Glas und ins ferne Rheintal. Mich nahm sie überhaupt nicht mehr wahr, und wenn, dann nur als eine, die da war, damit ihre Worte nicht ungehört in den Weinbergen verpufften.
»Es gibt Anzeichen dafür, dass ihn jemand ans Ufer gezogen hat. Aber ich bin froh, dass ich ihn nicht so habe sehen müssen, ins Wasser geworfen wie Fischfutter. Und jetzt haben sie ihn nach Freiburg in die Gerichtsmedizin gebracht, und da ziehen sie ihn nackt aus, schneiden ihn auf und höhlen ihn aus. Und dann wissen sie vielleicht, ob es Mord oder Selbstmord war.«
Sie lieà ihren Kopf schwer auf meine Schulter fallen. Selbstmord? Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Vielleicht weil ich, im Gegensatz zu Sophie, Felix im Wasser gesehen, sich mir das Spiegelbildliche zu Murniers Leiche so eingebrannt hatte, dass ich selbstverständlich von Mord ausging. Auch davon, dass die beiden Morde miteinander zusammenhingen.
Sophie richtete sich abrupt wieder auf, griff nach ihrem Glas und leerte es in einem Zug. Noch ein weiteres und sie hatte auch die zweite Flasche ausgetrunken.
»Oh, es war ein hartes Stück Arbeit, Felix zu erobern. Er hatte ja immer Stich bei den Frauen, konnte wählerisch sein, und ich weiÃ, dass ich nicht die Schönste bin. Trotzdem hat er sich für mich entschieden. Wir haben gut zusammengepasst. Feuer und Wasser, Yin und Yang, so in der Art.
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