Bibbeleskaes
zusammengebracht, wenn Pépé nicht umgeâ¦Â«, überging sie meine Fragen.
»HeiÃt dass, dein Vater wusste nicht, dass du so viel mit deinem GroÃvater gemacht hast?«
»Pépé hat gemeint, wir sollen noch ein bisschen warten, bis wir es ihm sagen, und jetzt â¦Â«
Zum ersten Mal klang so etwas wie Verzweiflung in ihrer Stimme durch. Die wurde plötzlich ganz piepsig, und ihre Finger richteten ein wildes Durcheinander mit den Tütchen und Döschen an, sammelten sie dann ein, zerknüllten sie in der kleinen Faust und stopften den Müll in die leere Tasse. Sie bemerkte gar nicht, dass ihr dabei Milchreste übers Handgelenk schlierten. Sie war nicht cool, sie tat nur so. Eigentlich war sie ein trauriges Kind, das schreckliche Angst hatte. Der GroÃvater tot, die Mutter in Australien, der Vater im Gefängnis â¦
»Bist du etwa allein im Haus, seit dein Vater weg ist? Wer kümmert sich um dich? Wer kocht dir was zu essen?«
Falsche Fragen, merkte ich an ihrem Blick. »Hey, hey, ich brauch keinen Babysitter, und die Pizzen in der Gefriertruhe reichen mindestens noch eine Woche. AuÃerdem sind Betty und Suzan da, unsere australischen Studentinnen für die diesjährige Weinlese.«
Dass Sandrine nicht alleine zu Hause war, beruhigte mich ein wenig, dennoch hatte ich das unbestimmte Gefühl, vor Ort nach dem Rechten sehen zu müssen.
»WeiÃt du was?«, schlug ich vor. »Ich fahr dich jetzt nach Scherwiller zurück.«
»Das müssen Sie nicht, ich kann wieder mit der Bahn fahren«, wehrte Sandrine ab.
Ich deutete auf die Tüte mit den Schuhen, die neben meinem Stuhl stand.
»Das ist Erpressung. Sie sind schon wie Dad«, maulte sie.
Wir liefen zur Place Kleber zurück, stiegen in die Bahn und zehn Minuten später in mein Auto. Dort reichte ich ihr die Schuhtüte, die sie sich auf die Oberschenkel stellte und festhielt. Ihre Tasche klemmte sie ans Fenster und legte den Kopf dagegen. Sie wirkte erschöpft und mit einem Mal so zugeknöpft und mürrisch wie bei unserer ersten Begegnung an der Haustür.
»Die rosa Trillerpfeife an deiner Tasche. Hat die eine bestimmte Bedeutung?«, versuchte ich es mit Small Talk.
»Hat mir meine Mama geschenkt. Damit ich mich überall laut und schnell bemerkbar machen kann.«
»Gute Idee!«
Sie reagierte mit einem Schulterzucken. Den Kopf weiter an die Scheibe gelehnt, presste sie die Schuhe fester vor die Brust und zog auch noch ihre Beine heran. Sie machte sich rund und klein, wollte keine Angriffsfläche bieten, wollte nicht gestört werden.
»Sandrine, ein ungewöhnlicher Name«, plauderte ich trotzdem weiter. »Wie sind deine Eltern darauf gekommen?«
»Sie haben sich in einem Programmkino in Sydney kennengelernt, und dort lief âºSans toit ni loiâ¹ mit Sandrine Bonnaire«, spulte sie herunter. »Und als sie dann wussten, dass ich ein Mädchen werde, haben sie sich daran erinnert.«
»âºVogelfreiâ¹ heiÃt der Film auf Deutsch. Und Sandrine Bonnaire war klasse! Ist schon ein paar Jahre her, dass ich den Film gesehen habe.«
»Ich bin auch schon ein paar Jahre alt â¦Â«
»Ist ja gut, ich will dich nicht bevormunden. Ich mach mir nur Sorgen.«
»Müssen Sie nicht. Ich komm schon klar.«
Die Autobahnauffahrt nach Mulhouse, die schon vertraute Strecke nach Schlettstadt. Sandrine tat jetzt, als ob sie schliefe.
»Warum haben sich dein Vater und dein GroÃvater letzte Woche so furchtbar gestritten?«, fragte ich.
»Das Stück Rebland von Pépé, das in Dads Felder hineinragt. Die zwei konnten einfach nicht vernünftig miteinander reden. Sie müssen sich früher mal furchtbar verletzt haben. Und ich hätte alles heilen können.«
Ihre Stimme, so piepsig wie vorhin, brach plötzlich ab. Dann weinte sie still und leise, und weil es ihr peinlich war, dass ich es bemerkte, hielt sie sich die Schuhtüte vors Gesicht. Sie beschwerte sich nicht, als ich Charly Parker in den CD -Player schob und er »All The Things You Are« auf seinem Saxofon spielte.
Als wir auf dem knirschenden Kies im Hof vorfuhren, hatte sie sich wieder unter Kontrolle. In der Haustür tauchten die beiden Australierinnen auf. Sandrine stieg eilig aus und lief auf die jungen Frauen zu. Suzan und Betty nahmen sie zwischen sich, eine der beiden legte ihre Hand auf Sandrines Schultern, die
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