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Bibel der Toten

Bibel der Toten

Titel: Bibel der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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nichts wie weg von hier.«
    Sichtlich konsterniert drängte sie zum Aufbruch. Jake spritzte sich aus seiner Flasche etwas Wasser ins Gesicht und schlüpfte in seine Socken und Stiefel. Dann halfen er und Chemda sich gegenseitig mit ihren Rucksäcken, gaben sich einen flüchtigen Kuss und verließen den bedrückenden Bau.
    Im Freien herrschte noch immer tödliche Stille. Das war nicht der üppig wuchernde, vor Leben strotzende Dschungel von Angkor Wat. Flecken verbrannter oder abgestorbener Vegetation sprenkelten den Urwald. Vögel zwitscherten: verhalten und unsicher. Aber vielleicht bildete sich Jake alles auch nur ein. Er hoffte, dass er es sich einbildete; genauso wie er hoffte, sich die Schädel und Skelette im Wasser des Sees, das dreiste Treibgut des Völkermords, nur eingebildet zu haben.
    Nach zweistündigem Fußmarsch durch dichten Dschungel erreichten sie den Rand eines kleinen Dorfs. Bei Sonnenschein wirkte Rittisak wesentlich entspannter. Seine Aufgabe war beinahe erledigt. Er deutete irgendwohin, sagte etwas und deutete dann in eine andere Richtung.
    Chemda drehte sich zu Jake. »Er sagt, die Hauptstraße ist gleich dort drüben. Deshalb müssen wir vorsichtig sein. Aber zum Übergang von Chong Sa ist es nicht mehr weit. Wir müssen nur noch über dieses Feld … und dahinter beginnt ein Weg, der durch eine Schlucht direkt zur Grenze führt.«
    Die Schlucht hatten sie rasch erreicht, aber weil sich der Weg mehrmals gabelte, waren sie nicht sicher, welche Richtung sie einschlagen sollten. Eine Abzweigung führte zu einer Gruppe von Häusern und der stark befahrenen Straße nach Thailand; das war eindeutig zu gefährlich. Ein zweiter Weg schien direkt in den Dschungel zu führen, zu einem unbewachten und stark bewaldeten Grenzabschnitt ein paar Kilometer weiter östlich.
    Schwitzend und ängstlich schweigend entfernten sie sich von den Häusern. Verbrannte Bäume säumten den schmalen Pfad, bis sie eine Lichtung erreichten.
    Sie blieben stehen.
    In der Mitte der Lichtung befand sich ein von einem Maschendrahtzaun eingefasster länglicher Erdhaufen, den ein niedriges Dach aus rostigem Metall vor Regen und Sonne schützte.
    Rittisak deutete.
    »Pol Pot Grab! Verbrennen Leiche. Wegmachen!«
    Verdutzt schaute Jake auf den Erdhaufen. Das war das Grab des Diktators? Pol Pots Grab? Es war von bemerkenswerter Schlichtheit. Es hätte das poetisch bescheidene Grab eines großen Dichters sein können, ein Armengrab für ein verkanntes Genie – aber vielleicht, dachte Jake, war es ja genau das. Hier war der Mozart des Todes begraben; es war das Grab eines gespenstischen Wunderkinds: ein autistischer Savant, ein Ausbund an grienendem Mittelmaß, der es irgendwie geschafft hatte, sein eigenes Land zu vernichten.
    Um das Grab herum lagen alle möglichen Opfergaben. In einer mit Sand gefüllten Tom-yum-Dose steckten mehrere brennende Räucherstäbchen. Neben einem kleinen Haufen Silbermünzen schrumpelten rote Äpfel vor sich hin. Und hinter dem Grab war ein hölzernes Geisterhaus. Jemand hatte zu Ehren von Pol Pots totem Schatten einen kleinen Schrein errichtet. Jake ging näher heran und sah, dass zwei Puppen in dem Häuschen waren: Pol Pot und seine Frau. Jake staunte.
    Rittisak sagte etwas. Chemda übersetzte:
    »Er sagt, die Leute kommen hierher, um zu beten, um den Geist Pol Pots, äh, um Hilfe zu bitten. Der Schrein wurde von einem Thai errichtet. Er hat in der Lotterie gewonnen, nachdem er zu Pol Pots Geist gebetet hat. Was meinst du, soll ich auf das Grab pissen? Dürfen Frauen so was, oder ist das eher eine Männersache? Wie auch immer – lass uns bitte gehen.«
    Es war das erste Mal, dass Chemda, die so gut wie nie Schimpfwörter verwendete, sich in Jakes Beisein zu einer ordinären Bemerkung hinreißen ließ. Angewidert wandte sie sich vom Grab des Diktators ab.
    Jake konnte sich nicht so schnell davon losreißen. Er war fasziniert von dem aberwitzigen Paradox, das hier vor ihm lag: das Grab eines gottlosen, geisteskranken Diktators, eines Mannes, der Mönche ermordet und Tempel zerstört hatte, eines Mannes, der Gott nicht nur gehasst, sondern vom Erdboden zu tilgen versucht hatte – und das Grab dieses Nichtgläubigen war ein Schrein geworden, ein Ort abergläubischer Anbetung, an dem die Bauern der Umgebung einen kommunistischen Dämon, eine marxistische Gottheit verehrten; weiter ließ sich die Ironie des Schicksals nicht auf die Spitze treiben. Das musste er einfach festhalten.
    Fast reflexhaft holte

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