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Bibel der Toten

Bibel der Toten

Titel: Bibel der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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genug davon, sich allein den Kopf zu zermartern. Außerdem hatte er schon so viel mit ihr durchgemacht. Warum ihr nicht alles erzählen?
    Er spürte, dass er dabei war, sich in sie zu verlieben. Er hatte keine Ahnung, was es hieß oder wie es sich anfühlte, wenn man sich verliebte, aber wenn es so war wie das, was er jetzt empfand, wollte er es gern Liebe nennen. Ja, er war verliebt in Chemda Tek. Und Liebe bedeutete, dass er ehrlich sein musste. Das wollte er auch sein.
    »Chem, ich habe ständig so komische Träume. Manchmal sind es Tagträume. Albträume, nichts weiter als verrückte Albträume, aber sie kehren immer wieder; es ist vor allem ein bestimmtes Bild, das ich in diesen Träumen immer wieder sehe.«
    Dann erzählte er ihr davon. Von dem Kopf, den schwebenden Köpfen, vom Gesicht seiner Mutter.
    Und während er redete und redete, wandelte sich ihr Gesichtsausdruck von Verwunderung über Besorgnis zu blankem Entsetzen.
    »Ein krasue «, stieß sie bestürzt hervor. »Soweit ich das beurteilen kann, ist das, was du siehst, ein krasue .«
    »Und was soll das sein?«
    Wieder ruhiger, erklärte sie ihm den genauen Sachverhalt.
    »Ein krasue ist ein böser Geist mit kannibalischen Zügen, eine Art Vampir. Er erscheint hauptsächlich nachts. Normalerweise tut er das in Gestalt einer Frau; meistens ist sie jung und schön, und …« Chemda musste sich überwinden, weiterzusprechen. »… und von ihrem durchtrennten Hals hängen ihre Eingeweide. Sie hat nämlich keinen Körper. Deshalb schwebt nur ihr Kopf durch die Luft und zieht ihre Wirbelsäule und ihre inneren Organe hinter sich her.«
    »Aha.« Jake schluckte schwer. »Und was macht sie genau? Diese Dämonin?«
    »Die krasue hat es vor allem auf schwangere Frauen abgesehen. Sie benutzt …« Chemda seufzte. »Sie fischt mit ihrer langen Zunge den Fetus aus ihrem Bauch, indem sie damit, äh, im Schoß der Frau herumtastet, die Scheide hinauf bis zur Gebärmutter. Und dann frisst sie den Fetus auf. Und das führt während der Schwangerschaft zu schweren Erkrankungen. Jedenfalls glauben das viele Frauen in Südostasien.«
    »Das ist doch wohl nicht dein Ernst?«
    »Jake.« Chemda hielt seine Hand ganz fest. »Ich weiß, du glaubst nicht an solche Dinge, und es hört sich auch komplett verrückt an, aber was du mir gerade erzählt hast, ist eine exakte Beschreibung dieser speziellen Dämonin, die im hiesigen Teil der Welt weit verbreitet ist. Ihren Ursprung hat diese uralte Legende im hinduistischen Indien, aber sie ist auch in Kambodscha und im kambodschanischen Voodoo weit verbreitet. Die Filipinos haben ihre eigene Variante dieser Dämonin, die Manananggal; das balinesische Äquivalent sind die Leyak. Und manche nennen sie auch die Arp.«
    »Und was hat das alles mit Angkor zu tun? Ich habe ganz ähnliche Darstellungen in Angkor gesehen. In einem Wandrelief.«
    »In Angkor heißen sie kinarees . Weibliche Geister. Aber im Grund genommen handelt es sich dabei nur um eine andere Form von krasue . Es gibt sie überall. Es existieren unzählige Legenden und Gebete, Flüche und Geschichten über die krasue . Sogar Horrorfilme.«
    Jake sah Chemda verständnislos an. Sie hielt seinem Blick stand. Der Zug hielt an, sie waren da. Sie mussten aussteigen.
    »Eines verstehe ich nicht«, sagte Chemda. »Hier handelt es sich doch um ein typisches Element meiner Kultur, von dem du bisher nichts gewusst hast. Es ist eindeutig kein Bestandteil deines kulturellen Hintergrunds. Wie ist es dann möglich, dass du von einem asiatischen Dämon träumst?«

31
    B oris wyjti!«
    Jakulowitsch stieß mit dem Viehstock nach dem Orang-Utan und stocherte nach ihm wie ein kraftloser, erschöpfter Florettfechter. Aber die Elektroschocks waren stark. Julia konnte sie sogar spüren, wenngleich sie durch die zuckenden Muskeln des Affen abgeschwächt waren: Spitzen aus Schmerz und bohrender Angst. Sie wand sich verzweifelt unter dem erdrückenden Gewicht des Affen, stieß hilflos gegen seine lederartige Haut.
    »Teper’, Boris w waschu kletku!«
    Sich heftig krümmend, begann der Orang-Utan den Attacken auszuweichen; ein weiterer Stromstoß und er ließ endgültig von Julia ab; zog sich in seinen Käfig zurück. Hastig verriegelte Jakulowitsch mit zitternden Händen die Tür.
    Eine Weile blieb Julia wie betäubt auf dem nassen Beton liegen. Doch dann fand sie ihre Fassung wieder und setzte sich auf. Bis auf ein paar Schrammen war sie unverletzt, fürchterlich erschrocken zwar, aber ansonsten

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