Bibel der Toten
Die auch mich umbringen wollte. Das ist sie, die Mörderin …«
Jake stand auf. »Was reden Sie denn da für einen Quatsch?«
Barnier wich vom Tisch zurück, als stünden die Hocker plötzlich unter Strom. Chemda griff nach Jakes Hand; ihre Hand war feucht und zitterte. Sehr stark. Jake fuhr Julia an:
»Wie können Sie so etwas sagen?«
Der Franzose drehte sich um und forderte das Personal lautstark auf, Chemda aus dem Club zu bringen und sofort die Polizei zu rufen. Mehrere Barmädchen liefen aufgeregt zusammen und umringten sie neugierig. Und inmitten der blitzenden Lichter und der hämmernden Musik stand Julia – vollkommen reglos und kreidebleich; wie gelähmt, fassungslos, bestürzt. Chemda wirkte inmitten des plötzlichen Menschenauflaufs verloren und durcheinander wie ein kleines Mädchen.
Jake verstand das alles nicht. Was sollte dieser ganze Irrsinn bedeuten?
Selbst an den höschenlosen Schulmädchen ging die allgemeine Aufregung nicht unbemerkt vorüber; neugierig spähten sie durch die Glasdecke nach unten und versuchten den Grund für den Aufruhr herauszufinden. Mehrere Japaner deuteten hektisch auf Chemda.
Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, schrie Barnier au-ßer sich auf die Menge ein:
»Schafft diese Frau hier raus, nong! Papasan! Mamasan? Sofort! Schafft sie hier raus, bevor sie noch jemand absticht …
« Chemda fand ihre Stimme wieder. Sie hörte sich ungewohnt kleinlaut an.
»Aber … aber ich bin nicht die Frau, für die Sie mich halten! Wie sollte das denn überhaupt gehen? Ich war in Kambodscha. Jake, sag es ihnen!«
Aber Jake starrte nur auf Julias Gesicht, das zarte, blasse Gesicht der jungen Archäologin, die seine Muttersprache sprach. Die Frau glaubte, was sie sagte; sie war felsenfest von der Richtigkeit ihrer ungeheuerlichen Anschuldigung überzeugt.
Jake blieben die Worte im Hals stecken. Es war, als wäre ihm der Boden unter den Füßen weggezogen worden. Chemda stieß seine Hand von sich.
»Glaubst du ihnen etwa, Jake?«
»Nein, selbstverständlich nicht!«
»Natürlich! Du glaubst ihnen! Ich sehe es dir doch an!«
»Das ist doch Unsinn. Völliger Quatsch. Es ist nur, dass … Chemda …«
Aber es stimmte, sie hatte recht. Auch wenn ihm bereits nach kurzem Nachdenken außer Frage stand, dass die Anschuldigung absurd war, war der Anflug eines Zweifels über sein Gesicht gehuscht: Bei dem Gedanken, dass ihn Chemda in die Villa der Soviroms eingeladen hatte …
Chemdas Tränen schimmerten wie Perlen auf ihren Wimpern, als sie ihn fassungslos ansah. Das wurde selbst ihr zu viel. Jetzt konnte auch sie nicht mehr an sich halten. Sie verlor die Beherrschung.
»Ich will dich nie wiedersehen – nie wieder …«
Chemda stieß seinen beschwichtigenden Arm von sich, drehte sich unwirsch um und schritt durch die sich teilende Menschenmenge auf den Ausgang zu; zwischen nur mit Tangas bekleideten Tänzerinnen und taiwanesischen Touristen und einem Trio aus grinsenden fetten weißen Geschäftsmännern hindurch, die sich gerade durch den Vorhang am Eingang schoben.
Der Vorhang bauschte sich kurz und schloss sich wieder. Chemda war weg. Der Club erwachte wieder zum Leben. Lady Drinks wurden geholt. Jemand bestellte Short Time. Die Klientel glotzte an die Glasdecke, wo die Mädchen in den Schottenröckchen ihr gelangweilt laszives Getanze wieder aufnahmen.
Einen Moment lang war Jake wie gelähmt vor Wut und Schuldgefühlen. Sollte er Chemda nachlaufen? Sie anrufen? Ihr Zeit lassen? Warum hatte er es überhaupt gestattet, dass sich ein Zweifel in seinen Kopf einschlich? Der Gedanke, Chemda könnte eine Mörderin sein, war mehr als nur absurd, es war schlichtweg unmöglich. Wie hätte Chemda zwischen Europa und Asien hin und her fliegen sollen, um irgendwen umzubringen? Es war vollkommen hirnrissig. Ganz zu schweigen davon, dass es, unter menschlichen Gesichtspunkten betrachtet, vollkommen unmöglich war. Chemda? Gerade sie? Nein. Vollkommen ausgeschlossen. Zu so etwas wäre sie nie imstande.
Aber warum hatte die amerikanische Archäologin bei ihrem Anblick solche Panik bekommen? Und warum war sie sich ihrer Sache so sicher?
Die junge Amerikanerin kam zaghaft auf Jake zu und legte ihm die Hand auf die Schulter.
Er schüttelte sie ab und fuhr sie aufgebracht an.
»Sie täuschen sich. Chemda war in den letzten Wochen ständig mit mir zusammen. Hier in Asien. Jeden Tag. Jede Minute. Was Sie ihr vorwerfen, ist kompletter Schwachsinn.
«Über Julias Miene legte sich ein
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