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Bibel der Toten

Bibel der Toten

Titel: Bibel der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Knox
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Quoinelles war reich und intelligent und hatte berühmte Vorfahren – Politiker und Wissenschaftler –, und doch kam er hierher, ins unbedeutende kleine Mende, wo buchstäblich niemand lebt! Für einen Pariser ist Lozère wie Sibirien. Vielleicht versuchte er dem langen Schatten seines Namens zu entfliehen.«
    Julia dachte über die Fakten nach, die ihr der französische Polizist plötzlich so bereitwillig mitteilte. Sie entbehrten nicht einer gewissen Logik. Allmählich begann sich ein deutlicheres Bild abzuzeichnen.
    »Irgend so eine ödipale Kiste also? Das mag ja alles schön und gut sein. Aber was hat es mit dem Mord zu tun?«
    Rouviers Lächeln gab ihr zu verstehen, dass er das Gespräch beenden und endlich nach Hause fahren wollte. » Hélas . Nichts. Wahrscheinlich nichts. Aber wir haben weder Anhaltspunkte noch Zeugen, noch Verdächtige. Deshalb will ich nichts unversucht lassen. Vielleicht können Sie uns ja helfen?« Er schien angetan von dieser Idee. »Fragen Sie Madame Annika. Vielleicht weiß sie mehr. Sie sind mit ihr befreundet. Sie ist eine Frau, die schwer zu knacken ist, wie eine Auster. Vielleicht können Sie die Perle finden. Aber jetzt rede ich Unsinn, oder?« Er lachte gut gelaunt, fasste in die Tasche seiner schicken dunklen Uniform und zog mit lockerlässigem Schwung eine Visitenkarte heraus. »Rufen Sie mich an. Jederzeit. Aber es ist schon spät, ich muss los, ich habe noch eine lange Fahrt vor mir. Wohnen Sie in Mende? Soll ich Sie irgendwohin bringen? Kommen Sie, ich fahre Sie nach Hause …« Seine Hand griff nach ihrem Arm.
    Sie zuckte zusammen. Sie konnte nicht anders.
    »Nein!«
    Ihre Stimme war viel zu scharf – schrill und aggressiv.
    Rouvier sah sie verdutzt an, und Julia war bestürzt über ihre heftige Reaktion. Aber sie konnte einfach nicht anders. Seine Worte hatten eine Erinnerung wachgerufen: ein Auto, eine dunkle Winternacht, sie waren über die Grenze nach Ontario gefahren, um als Minderjährige Alkohol zu trinken. »Komm, Kleine, ich fahre dich …« Ihr fester Entschluss, es nie mehr so weit kommen zu lassen.
    »Nein. Entschuldigen Sie bitte. Ich …«
    Aus Rouviers Gesichtszügen sprach aufrichtige Gekränktheit.
    »Ich wollte Ihnen doch nur einen Gefallen tun. Miss Kerrigan?«
    »Ich weiß. Ich weiß. Es ist nur, dass ich … nein danke. Meine Wohnung ist ganz in der Nähe.«
    »D’accord.« Er sah sie wieder an, immer noch verständnislos. Dann glättete sich seine Stirn, und er blickte in den weinenden Himmel. »Und jetzt regnet es auch noch. Il pleure dans mon cœur / Comme il pleut sur la ville. «
    Julia nickte. »›Es regnet in meinem Herzen, wie es auf die Stadt regnet‹? Kommt mir irgendwie bekannt vor. Rimbaud, oder?«
    »Nein, Verlaine. Es ist aus einem Gedicht von Verlaine.«
    Sein Lächeln kehrte zurück, aber es war traurig, und nur zu offensichtlich war er in Gedanken bereits ganz woanders; er wollte nach Hause. Doch Julia war noch nicht gewillt, ihn gehen zu lassen. Sie hatte immer noch Fragen an ihn; sie hatte so viele Fragen. Eine gab es allerdings, die sie ihm jetzt sofort stellen musste; ohne zu wissen, warum, fand sie, dass sie wichtig war.
    »Monsieur Rouvier …«
    Er entfernte sich bereits; aber er drehte sich um.
    »Oui?«
    »Sie haben gesagt, Ghislains Großvater war ein berühmter Wissenschaftler. Wofür war er berühmt?«
    Der Polizist stand unter einer Straßenlaterne; die Regentropfen funkelten in ihrem Schein, als er über die Frage nachdachte. Dann erhellte eine Antwort seine Miene, und er lächelte verhalten.
    »Hundertprozentig sicher bin ich mir nicht, aber ich glaube, er hat sich vor allem mit Vererbungslehre und Züchtungsmethoden beschäftigt. Jedenfalls war das Ganze ein bisschen heikel. Kann man das so sagen? Soviel ich weiß, hat er sich mit der Kreuzung unterschiedlicher Rassen befasst.«
    »Und welche Spezies wollte er miteinander kreuzen?«
    Rouviers Lächeln verflog. »Menschen.«
    »Wie bitte?«
    »Menschen mit Tieren. Er hat versucht, Menschen mit Tieren zu kreuzen – glaube ich jedenfalls.« Das Lächeln kehrte zurück. » Au revoir , Miss Kerrigan. Au revoir .«

11
    J ake stand auf und ging langsam zur Tür. Es war etwas ganz Furchtbares, was da am Haken hing.
    Aber was war es genau? Ein kleiner toter Affe? Ein getrockneter Flughund? Was war es? Ein brauner, ledriger Säugetierleichnam, der da an der Tür seines Zimmers hing? Das denkbar Schlimmste war es doch wohl nicht. Auf keinen Fall konnte es das sein, was er

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